Moralia II

Aus alter Zeit:
• DIE REVOLUTION IN L •
Mai 2005 — März 2007:
• MORALIA I •

Orietur Occidens

Freitag, 13. April 2007

Das Menschenbild hinter der Diskussion um die Kinderbetreuung

Bemerkenswert klar offenbart das Menschenbild, das in der aktuellen Diskussion um die Unterbringung von Kleinstkindern so befremdet, in einem Artikel von Katharina Rutschky in der tageszeitung.
Ein durchaus kluger Artikel. Zu recht wird die Ansicht: «Es käme nicht auf die Zeit an, die man mit seinen Kindern verbringt, sondern auf die Qualität, mit der eine gute Mutter ... die knappe zu nutzen weiß» beantwortet mit«paßt zu dem Rationalisierungsdruck, der seit einigen Jahren alle therapeutisch-pädagogischen Arbeitsfelder nicht zum Besseren verändert hat».
Danach aber bietet die Autorin ganz unkritisch und ungeniert den geistigen Humus der modernen Position dar:
«Berufsarbeit gibt vielen Müttern eine Befriedigung, die sie als Hausfrauen und Mütter niemals finden»; «Viele Frauen wollen Kinder kriegen, eine Familie haben, aber ... keine Lust, ihre Berufsarbeit länger als nötig mit der Kinderpflege zu vertauschen» – also: die Freude an der Ladenkasse gegen den Schrecken der Kinder.
«Meistens lieben Mütter ihre Kinder, aber längst nicht alle verfügen über die Talente, sich mit ihnen ... zu beschäftigen. ... Leute, die dafür ausgebildet, extra motiviert und bezahlt werden, können das besser» – also: Professionalität sei besser als Liebe und Bindung. Die mir geläufige pädagogische Psychologie allerdings sieht das ganz anders.
«Es wäre falsch, Kinderbetreuung und Familienarbeit ... nun, quasi aus Rachsucht, auch noch Männern aufzutragen» – es geht eben nicht um eine wie auch immer verstandene Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern darum, daß Kinderbetreuung als Strafe erscheint.
«Kinder wollen alles: Natürlich Mama und Papa, dazu die Peergroup in der Schule und die Freundschaften – immer früher auch schon Liebschaften drumherum» – der Schrecken der «Peergroup» (die Gruppe Gleichaltriger, die nicht von der Autorität wohlwollender Erwachsener zivilisiert wird) ist in der pädagogischen Psychologie schon seit Jahrzehnten bekannt; heute ermöglicht die Bindungstheorie, ihre Destruktivität zu begreifen. Und diesem vorgeblich eigenen «Willen» sollen die Kinder nun beherzt ausgeliefert werden, zur Förderung von Teenagerschwangerschaften.
«Mütter wollen eigenes Geld verdienen, nicht auf Gnade und Ungnade dem väterlichen Ernährer ausgeliefert sein» – also der böse Ehemann gegenüber dem freundlichen Arbeitgeber, Vorgesetzten oder Arbeitsagenturbeamten.
Dem steht entgegen, daß Kinder ihre Eltern brauchen, die Bindung, die Orientierung an ihnen. Dazu ist emotionale Nähe, der die natürliche Verbindung zwischen Eltern und Kind den Weg bahnt, weitaus wichtiger als Ausbildung und Professionalität.
Dem steht auf der anderen Seite entgegen, daß die Beziehung zu Kindern Frauen wie Männern nicht minder Freude zu machen vermag als auch ein attraktiver Beruf. Und ebenso, wie die Betreuung von Kindern auch mit dem Dreck verbunden ist, der weggemacht werden muß, ebenso bestehen auch attraktive Berufe nicht nur aus sinnvoller Arbeit, sondern aus zumeist viel Bureaukratie, Acquise (Klinkenputzen) und dergleichen. Zudem sind längst nicht alle Berufe attraktiv; und oft bleibt sowieso nur die Arbeitslosigkeit.
Die Ehe schließlich ist ein privater, selbstgewählter Raum für vertrauensvolle menschliche Beziehung. Freilich gibt es unglückliche Ehen und unleidliche Ehemänner (und Ehefrauen); aber nur weil es auch die gibt, ist nichtsdestoweniger niemand berechtigt, in diesen privaten Raum hineinzuregieren, Ehefrauen zu mutmaßlichen Opfern zu erklären und sie in die Hände von Dienstvorgesetzten oder Beamten zu geben. Übrigens gibt es auch Ehemänner, die von ihren Frauen ernährt werden und dabei nicht an dieser menschlichen «Abhängigkeit» leiden.
Siehe auch: • Wirtschaftsgerechte Entsorgung von Kleinstkindern •
W.H.W

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Freitag, 4. Mai 2007

Der Unterschied

Einer Frau war – weil sie sich nach der Empfehlung der «Arge» (Neusprech für «Arbeitsamt») gerichtet hatte – von eben dieser «Arge» unvermittelt und unbegründet das «Arbeitslosengeld II» gestrichen worden. Nachdem die Frau monatelang ohne Einkommen hatte leben müssen, eine Krankenhausrechnung für ihr Kind dennoch hatte aus eigener Tasche bezahlen müssen, bereits Möbel hatte verkaufen müssen, gelang es schließlich einem ehrenamtlichen Mitarbeiter der «Oldenburger Arbeitslosenselbsthilfe», ihr endlich wieder ihr gutes Recht zu verschaffen. Als Erklärung allerdings war der «Teamleiter» der «Arge» nur imstande zu dem Satz: «Ich habe 2500 Fälle». Der «Arge»-Geschäftsführer findet jedoch, von Überlastung könne keine Rede sein.
Wie nun hat die große Politik reagiert auf dieses eklatante staatliche Versagen? Soweit ich sehe: gar nicht.
Das ist der Unterschied zwischen Politik und christlicher Moral: unserer Politik geht es um statistische Erfolge (à la «Die Arbeitslosenzahlen sinken»), den Christen schmerzt jeder unnötig leidende Mensch.
W.H.W

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Anfang Mai 2007

Marktwirtschaft bei der Presse

Die amerikanischen Tageszeitungen sind in der Krise, schreibt der «journalist». Nicht, daß sie nicht gekauft würden – im Gegenteil, sie sind im Kern gesund, werden gekauft und gelesen. Den Renditeerwartungen der Investitoren allerdings sind sie nicht gewachsen. Vielen droht daher der — qualitative und wirtschaftliche — Ruin.
W.H.W

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Freitag, 1. Juni 2007

Es fehlen Fachkräfte

Der deutschen Wirtschaft fehlen Fachkräfte – Ingenieure und dergleichen. Das sei aber keine gute Nachricht für die Arbeitslosen – es gebe zwar in diesen Berufen viele Arbeitslose, die aber haben nicht die benötigte Spezialqualifikation.
Die vom Wettbewerbswahn geplagte und hysterisierte Wirtschaft gräbt sich selbst das Wasser ab: wenn bei jedem Konjunkturabschwung (und nicht nur dann) Arbeitskräfte eingespart werden, können sich diese natürlich nicht qualifizieren für die Aufgaben, für die sie bald darauf gebraucht werden. So schadet das betriebswirtschaftliche Denken nicht nur der Volkswirtschaft, sondern auch den einzelnen Betrieben.
W.H.W

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Samstag, 2. Juni 2007

Skandale des Showbetriebs und Skandale des Lebens

Ganz Deutschland hat sich empört über unseren kleinen Nachbarn im Westen: eine sterbenskranke Frau wolle dort ihre Niere für den ihr gefälligsten Empfänger in einer Fernsehshow preisausschreiben.
Es war aber nur Fiktion. Da jedoch nun niemand sich damit beschäftigen will, daß er die viele Jahrzehnte alte Lektion von Orson Welles’ «Krieg der Sterne» nicht gelernt hat, empört man sich – bis hinauf zu hochrangigen Politikern – einfach weiter.
Aus Schweden ist am Tag der Sendung eine Neuigkeit anderen Kalibers zu erfahren: mit behördlicher Erlaubnis soll ein Embryo implantiert und ausgetragen werden, der geeignet scheint, einem andern Kind durch Blutstammzellentransfusion das Leben zu retten. Das heißt allerdings, daß andere im gleichen Akt produzierte überflüssige Kinder zum Tode verurteilt werden.
Hierüber empört sich kein prominenter Deutscher.
W.H.W
«Krieg der Welten»!
von wegen die Halbbildung.
dilettantus in interrete

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Montag, 4. Juni 2007

Sieben Jahre sind genug für die Gesundheit

Brüssel prüft, ob das siebenjährige Verbot, Tiermehl zu verfüttern, weiterbestehen darf. Sieben Jahre lang schwindende Gefahr, an BSE zu erkranken – das erscheint den EU-Gewaltigen doch arg lange.
W.H.W

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Mittwoch, 6. Juni 2007

Was gefährdet den Schulfrieden?

In Nordrhein-Westfalen sind Lehrern religiöse Kundgebungen untersagt, wenn sie geeignet sind, «die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern oder den Schulfrieden zu gefährden oder zu stören». Damit hat der Gesetzgeber offensichtlich das Kopftuch der Muslimas gemeint; und die Rechtsprechung akzeptiert das so.
Jedoch: diese Kopftücher sind keine religiöse Kundgebung; kein Muslim würde es als Bekenntnis zum Islam werten, wenn eine Frau anderer Religion (eine rußlanddeutsche Baptistin etwa) Kopftuch trägt. Es ist vielmehr einfach eine im Islam verbreitete moralische Forderung.
Gefährdet es nun die Neutralität des Landes, stört es gar den Frieden?
Sicher: hätte ich Kinder, die zur Schule gehen, so wünschte ich mir eine christliche Lehrerin oder einen christlichen Lehrer, keine Muslima. Aber das spricht nicht gegen das Kopftuch, sondern für eine Bekenntnisschule. Eine ungläubige oder religiös gleichgültige Lehrerin wäre mir keineswegs lieber als eine Muslima mit oder ohne Kopftuch.
Lehrer sind Menschen, sie können nicht unterrichten, ohne daß ihre Persönlichkeit durchscheint. Die Religion nun ist ein integraler Teil der Persönlichkeit. Darum: wenn der Staat Lehrer will, muß er sie mit ihrer Religion akzeptieren; Neutralität kann nur heißen, daß er keine Religion bevorzugt. Und wer nicht will, daß seine Kinder von Lehrern einer ihn schreckenden Religion unterrichtet werden, muß für Bekenntnisschulen eintreten.
W.H.W

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Donnerstag, 14. Juni 2007

Die Regierung und die Logik

Daß viele andere Länder einen Mindestlohn haben, heiße noch lange nicht, daß das auch für Deutschland das geeigneteste sei, erklärt die Kanzlerin. Da hat sie recht. Nicht weil in anderen Ländern das Gras grün ist, ist es in Deutschland grün, sondern weil Gras grün ist, ist es das in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern.
Deshalb sei ihre Partei gegen flächendeckende Mindestlöhne. Die Logik dieses Gedankens ist: weil sie ein Argument für Mindestlöhne weiß, das nicht stichhaltig ist, ist ihre Partei dagegen, ungeachtet dessen, welche richtigen Argumente dafür es gibt.
W.H.W

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Donnerstag, 14. Juni 2007

Die Regierung und die Menschenrechte

Wer zu seinem in Deutschland lebenden Ehegatten «nachziehen» will – auch wenn dieser Deutscher ist! –, muß über achtzehn Jahre alt sein und deutsche Sprachkenntnisse nachweisen; so will es die deutsche Regierung.
Es ist ein Menschenrecht, mit seinem Ehegatten zusammmenzuleben. In dem Fall, daß der ausländische Ehegatte diesen Bedingungen nicht entspricht, wird also den Eheleuten ein Menschenrecht verweigert.
W.H.W

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Donnerstag, 28. Juni 2007

Gerüchte aus der Wirtschaft

Kennen Sie Herrn X.Y.* [* Name vom Verfasser geändert], den bisherigen Vorstandsvorsitzenden des Kaufhauskonzerns ZZZ* [* Name vom Verfasser geändert]? Er gilt als eine der markantesten Gestalten der deutschen Managerélite, ist bekannt durch seinen rigorosen Einsatz für Effizienz.
In den Kaufhäusern seines Konzerns hatte er festgestellt, daß Gewinn fast nur die Kassen machen, daß das Warenangebot dagegen nur durch Quersubventionierung aufrecht erhalten wurde. Daraufhin hat er rigoros in der gesamten Kaufhauskette das Warenangebot abgeschafft. Und so setzte der Konzern an zu einer außergewöhnlichen Steigerung der Gewinnmarge; plötzlich jedoch blieben die Kunden aus, und ZZZ* brach zusammen. Es heißt, die großen Veränderungen seien nicht ausreichend kommuniziert worden.
So mußte sich Herr X.Y.* nun vorübergehend aus seiner eigentlich so erfolgreichen Tätigkeit zurückziehen. Allerdings wird sein Namen gehandelt als künftiger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, denn wer sonst, so heißt es, wäre imstande, ab 2011, nach Ende der Amtszeit des jetzigen Vorsitzenden, die Bahnreform weiterzuführen?
W.H.W

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Freitag, 13. Juli 2007

Wer findet Arbeit in Deutschland?

Längere wichtige Ausführungen eines Fachmanns in der tageszeitung über die zunehmende Infektionsgefahr durch Stechmücken hierzulande.
Er ist Deutscher; aber weil er hier keine Arbeit fand, ist er an die Yale-Universität gegangen.
Die Qualifikation, die von einer der renommiertesten US-Universitäten gefordert wird, reicht also nicht aus, um in Deutschland Arbeit zu finden.
W.H.W

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Dienstag, 7. August 2007

Grüne Gentechnik

Ein führender Mitarbeiter eines weltweit führenden Nahrungsmittelkonzerns wird in der tageszeitung interviewt. Er versichert, daß sein Konzern seine Waren ohne Gentechnik produziert, das auch seinen Abnehmern garantiert.
Aber dann, auf die Frage, welches Risiko die Gentechnik berge: Keins! Nur fehlten noch die Produkte, die den Kunden von den Vorteilen überzeugen würden. Sein Beispiel solcher «Vorteile»: durch Gentechnik könne der Fettgehalt von Lebensmitteln gedrosselt werden.
Es gibt viele moralische Einwände gegen die «grüne Gentechnik»: Sie widerspricht der Schöpfungsordnung – Gott hat jede Pflanze, jedes Tier nach seiner Art geschaffen. Ihre Bedingungen widersprechen dem Naturrecht, indem sie dem Bauern sein Recht verwehren, zur Aussaat einfach die Früchte seiner Ernte zu benutzen (ein Recht, das freilich auch jetzt schon durch die Sortenschutzgesetze schwerwiegend beeinträchtigt ist). Ihre Anwendung widerspricht der praktischen Moral, indem sie – gelegentlich nachgewiesene, aber weitgehend noch ungeklärte – Gesundheitsrisiken leugnet, also billigend in Kauf nimmt, indem sie solche Risiken gar sinnlos hervorruft dadurch, daß sie Antibiotika-Resistenzen als «Marker» einsetzt (was bemerkenswerterweise der Gesetzgeber toleriert).
Aber es gibt auch ästhetische Einwände, die der interviewte Konzernfunktionär sehr klar bestätigt: er droht, daß wir anstelle wohlschmeckender (und daher sicherlich auch gesunder) natürlicher Nahrung etwas vorgesetzt bekommen, was nach Maßgabe irgendwelcher Konzerngrößen der jeweiligen ernährungsphysiologischen Mode entsprechend umgepanscht wurde.
W.H.W

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Samstag, 11. August 2007

Gesundheit und Marktwirtschaft

Die tageszeitung berichtet vom ungarischen Gesundheitswesen. Die staatsfinanzierte Gesundheitsversorgung wurde abgeschafft, Ärzte arbeiten seither als Selbständige, die Medikamentenversorgung wurde dem Weltmarktregime ausgesetzt.
Die Folgen: Krankenhäuser werden geschlossen, andere sind bankrott, bekommen keine Medikamente mehr geliefert, die Qualität der Medikamentenversorgung, früher sehr hoch, ist bedrohlich gesunken.
Gesunken ist dabei auch die Lebenserwartung der Ungarn.
Die freie Marktwirtschaft bringt niemals Nutzen.
W.H.W

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Freitag, 21. September 2007

Doping

Sowenig interessant dieses Thema, das ja eigentlich nur den Sport betrifft, auch erscheint – in diesem Jahr wird man es, selbst nach dem Ende der Saure-Gurken-Zeit, nicht los. Darum will ich einmal seinen exemplarischen Charakter aufzeigen.
Es geht sicher nur um Menschen, die durch ihre körperlichen Voraussetzungen zu Höchstleistungen befähigt sind. Wenn nun jemand, der zu den Besten gehört, aber nicht der Beste ist, mit ein wenig Chemie nachhilft, so mag er dann im Wettkampf doch der Beste werden. Was kann der dagegen tun, der eigentlich der Beste wäre? Nun: er nimmt einfach auch etwas Chemie; dann behält er seinen Rang. Wer dagegen nur in etwas weiterem Sinne zu den Besten gehört, muß deutlich mehr Chemie nehmen, um im Wettkampf doch Chancen auf einen der ersten Plätze zu haben. Und die eigentlich Besten müssen dann auch zu mehr Chemie greifen, um das wettzumachen.
Es mag also sein, daß die Rangordnung der Sieger nur wenig oder gar nicht beeinflußt wird durch die Chemie; nur: wenn einer damit anfängt, zwingt er letztlich alle, sich daran zu beteiligen. Nutzen hat also davon kaum jemand, den Schaden aber, die schädlichen Wirkungen der Präparate, haben alle.
Das aber ist die gleiche Erscheinung wie in der Wirtschaftspolitik: wenn ein Staat damit anfängt, seine «Wettbewerbsfähigkeit» zu stärken, indem er die direkten Steuern senkt (und ebenso die Sozialabgaben, und zudem Lohndrückerei begünstigt), so zwingt er andere Staaten zu ähnlichen Maßnahmen. Am Ende hat kein Staat etwas davon (außer gewisser Operettenfürstentümer und Bananenrepubliken) – alle aber haben den Schaden: die niedrigen Steuern mit ihren verheerenden Folgen für die Handlungsfähigkeit der Staaten.
W.H.W

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Dienstag, 30. Oktober 2007

Staat und Gewissen

Papst Benedikt XVI. forderte für Apotheker das Recht, aus Gewissensgründen die Ausgabe von Medikamenten zu verweigern, «welche die Einnistung eines Embryos verhindern oder das Leben eines Menschen beenden». Es sei nicht möglich, «die Gewissen zu betäuben». Kein Mensch dürfe außerdem als «Objekt» behandelt und für «therapeutische Experimente» verzweckt werden. (kath.net)
Die italienische Gesundheitsministerin erklärte dagegen im Namen der «unbestreitbaren Souveränität des Parlaments», verschriebene Medikamente dürften nicht verweigert werden – sie postuliert also den Vorrang des positiven Rechts vor dem Gewissen. «Aber ein Gehorsam, der die Seelen knechtet, der in das innerste Heiligtum der menschlichen Freiheit, in das Gewissen greift, ist roheste Sklaverei.» (Bischof Clemens August v. Galen, Xanten, 6. September 1936).
W.H.W

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Orietur Occidens

Mittwoch, 7. November 2007

Politik und Dialektik: Das Übel der Arbeitslosigkeit

In der tageszeitung findet sich ein Interview mit einem früheren Parteipolitiker, heutigem Politikberater, einer Regierungspartei zugehörig. Das Interview geht um Parteipolitik, die Arbeitslosigkeit ist kein eigenes Thema, sondern wird nebenbei erwähnt; was er dazu sagt, sind offensichtlich eher Topoi der gegenwärtigen Politik (die «meisten Experten ...») als besondere persönliche Meinungen target="_blank" somit eine Gelegenheit, das politische Denken zu diesem Thema näher zu betrachten.
Man stimmt darin überein, daß die Arbeitslosigkeit ein Problem ist, das anzugehen ist. Aber was ist das, was die Arbeitslosigkeit ein Übel sein läßt? Ist sie ein Übel für die Funktion des Staates, für die Volkswirtschaft? Dagegen spricht alles. Die Arbeitslosen fehlen nicht der Wirtschaft, im Gegenteil: es fehlen Stellen für die Arbeitslosen. Wenn auch gelegentlich Fachkräftemangel beklagt wird, so ist er doch nicht so dringend, daß man sich bemühen wollte, Arbeitslose für die entsprechenden Stellen weiterzubilden. Auch die Unterstützung der Arbeitslosen, daß sie nicht geradezu verhungern, ist für die öffentlichen Haushalte kein Problem – man plant ja sogar gewaltige Steuersenkungen, obwohl die Steuern schon jetzt keineswegs erdrückend sind, sondern die hiesige Wirtschaft nicht daran gehindert haben, zum «Exportweltmeister» zu avancieren.
Die Arbeitslosigkeit ist also kein Übel für den Staat oder die Volkswirtschaft. Also – eine dritte Möglichkeit ist weder zu sehen noch wird sie je angeführt – ist sie eines für die Menschen, die Betroffenen. Aber in welcher Weise?
Die antike Philosophie kannte als Anliegen des Staates, den Bürger besser zu machen. Das aber gehört nicht mehr zum modernen Staatsverständnis. Der Befragte distanziert sich nicht nur nicht von dieser modernen Auffassung, sondern stimmt ihr auch zu, wenn er «den Paradigmenwechsel in der Familienpolitik» zu dem zählt, was sich an der Regierungspolitik «sehen lassen kann».
Ist das Übel also, daß die betroffenen Menschen, die Arbeitslosen und ihre Angehörigen, arm sind? Für den Befragten nicht; denn er bemängelt, daß eine frühere Regierung «die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf europäische Rekordhöhen getrieben» habe, damit «leider auch die Langzeitarbeitslosigkeit und die Ausmusterung älterer MitarbeiterInnen [(gemeint ist: «Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter»)]» – Hilfe gegen die Armut erscheint ihm also hinderlich für das Ziel; das Ziel kann folglich nicht die Verringerung der Armut sein.
Ist das Übel also das Entbehren befriedigender Tätigkeit und gesellschaftlicher Anerkennung? Auch das kann es nicht sein, denn daß die «Verkürzung der Bezugsdauer die bisher wirksamste Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor allem bei den älteren ArbeitnehmerInnen» sei, setzt voraus, daß bei ausreichender Unterstützung die Arbeitslosen selbst bereit zur Arbeitslosigkeit seien, dieses Übel ihnen selbst also nicht schwerwiegend erscheine – denn einem anderen eröffnet die Bezugsdauer ja keine besondere Möglichkeit, jemanden in die Arbeitslosigkeit zu entlassen.
So übel auch Arbeitslosigkeit für die Betroffenen ist: im Gedankengang unserer Politiker der vorherrschenden Denkungsart ist das nicht zu erkennen; da erscheint kein Übel der Arbeitslosigkeit, das zu bekämpfen ihr Thema, Ziel ihrer Maßnahmen wäre.
W.H.W

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Donnerstag, 15. November 2007

Die Waldschlößchenbrücke

Nun scheint es festzustehen: die Brücke, deren Bau in einer Volksabstimmung der Dresdener Bürger beschlossen worden ist, gegen den aber die UNESCO protestiert, wird gebaut werden.
Muß man das nicht hinnehmen, wenn in einer demokratisch verfaßten Gemeinde das Volk es so beschlossen hat?
Nun: ginge es nicht um Kulturgut, sondern um den freien Markt, sei es Binnenmarkt oder Weltmarkt, wollte das Volk etwa den Anbau genmanipulierter Pflanzen in seiner Gemarkung untersagen, so hätte es kaum Aussicht, seinen Willen gegen EU-Kommission oder WTO durchzusetzen. Die UNESCO aber, die sich nur für die Kultur, nur für das Wohl der Menschen einsetzt, hat der Bürgerschaft keine vergleichbare Macht entgegenzusetzen.
Siehe auch: • Meneteqel •
W.H.W

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Orietur Occidens

Donnerstag, 6. Dezember 2007

Wie lenkt man Familien auf den rechten Weg?

Eine Dame vom Deutschen Frauenrat ist es, die in der tageszeitung interviewt wird über das Betreuungsgeld, dann aber auch das Ehegattensplitting niederredet.
«Das Ehegattensplitting mitsamt dem Hausfrauenmodell lenkt Familien eher in die Armut. ... Wollen wir wirklich mit der Steuerpolitik Familien arm halten?» und dann: «Der Splittingvorteil ist oft so groß, dass eine Frau keinen Anreiz zur Erwerbstätigkeit hat – denn dann würde der Steuervorteil ja schmelzen».
Das heißt, Familien lassen sich vom Ehegattensplitting verführen, den scheinbaren Vorteil des Augenblicks, den Steuervorteil, zu suchen, ohne zu begreifen oder zu beachten, daß sie das auf Dauer in Armut zu stürzen drohe. Es sind also nicht mehr (im Geiste des preußischen Ministers v. Rochow) die Handlungen des Staatsoberhauptes, an die sie den Maßstab ihres beschränkten Untertanenverstandes nicht anlegen sollen, sondern jetzt ist es die eigene Lebensplanung, für die ihre Einsicht zu beschränkt sei; darum müssen sie vom Staat «gelenkt», bevormundet werden.
Das Ehegattensplitting dagegen will nicht lenken, sondern einfach gerecht sein: Ehepaare mit gleichem Einkommen sollen gleich besteuert werden.
Und es ist Unsinn, daß der Splittingvorteil oft so groß sei, «dass eine Frau keinen Anreiz zur Erwerbstätigkeit hat» – wenn sie erwerbstätig sind, schmilzt zwar der Steuervorteil, aber das Einkommen steigt dennoch.
Außerdem lenkte die Abschaffung des Splittingvorteils – wenn er denn lenkte – viele betroffene Frauen eben nicht zu weniger, sondern zu mehr Armut, denn viele der betroffenen Frauen würden keine Arbeit finden. Die wirkliche Folge für diese Frauen wäre, daß sie dann ohne den Steuervorteil des Splittings eben deutlich weniger Einkommen hätten. Also profitieren vom Splittingvorteil keineswegs nur «die Männer, auf deren Konto der Steuervorteil meist landet». Übrigens ist in Deutschland die Zugewinngemeinschaft weitverbreitet (und auch Gütergemeinschaft gibt es), so daß das Geld beiden Eheleuten gehört. Daß es auch Männer gibt, die die Rechte ihrer Frau übergehen, rechtfertigt nicht eine allgemeine, undifferenzierte Einmischung in das Leben der Familien.
Zudem gibt es zahlreiche Familien, in denen – gerade in der Situation der großen Arbeitslosigkeit – Frauen Allein- oder Hauptverdiener sind; auch in dieser Hinsicht profitieren Frauen wie Männer vom Splittingvorteil.
«Eine Frau, die einige Jahre daheim war, hat für den Rest ihres Lebens doch gar keine Wahlfreiheit mehr. ... Man muss doch nach einer Familienphase wieder gut in den Beruf zurückkehren können.» Hier allerdings muß man der Dame teilweise recht geben – teilweise, denn einerseits spielt es für die Arbeitsmöglichkeiten geringqualifizierter Frauen, der Frau an der Ladenkasse etwa, keine so große Rolle, wenn sie einige Jahre nicht berufstätig waren, für die mancher hochqualifizierter Frauen andererseits ebensowenig, Ärztinnen etwa sind wieder gesucht.
Aber für viele Frauen trifft diese Feststellung aus dem Interview doch zu. Warum aber wendet sich dann der Deutsche Frauenrat nicht gegen das eigentliche Problem, gegen die Diskriminierung von Frauen, die in den Beruf zurückkehren wollen?
Siehe auch: • mittendrin •
W.H.W

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Orietur Occidens

Freitag, 14. Dezember 2007

Betäuben, anstatt die Lebensumstände zu verbessern

– das ist der Entscheidung eines Sozialamts und dem Urteil eines Sozialgerichts nach der angemessene Umgang mit einem schwerkranken Menschen, der im Pflegeheim schlecht gepflegt und psychosozial vernachlässigt wird. Die daraus resultierenden Depressionen könnten im Heim mit Medikamenten behandelt werden, befand das Gericht. Psychopharmaka, Antidepressiva etwa, können bekanntlich die Depression nicht heilen, sondern nur die Symptome betäuben.
W.H.W

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Orietur Occidens

Donnerstag, 20. Dezember 2007

Zwangsuntersuchungen für Kinder

Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten der Länder haben beschlossen – wie es schon seit längerem diskutiert wird –, die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder verpflichtend zu machen. Dadurch sollen Kindesmißhandlungen erkannt werden.
Bemerkenswert: während biometrische Daten im Paß und Videoüberwachung Datenschützer aufkochen lassen, ist hier wenig von ihnen zu hören.
Die Ärzte allerdings, denen das doch ein wenig zusätzliches Einkommen verschaffen könnte, sind strikt dagegen. Warum?
Nun: bisher handelte der Arzt ganz im Auftrag des Patienten und – bei Kindern – seiner Eltern. Jetzt aber soll er zusätzlich eine letztlich polizeiliche Funktion übernehmen. Damit aber ist das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient beschädigt.
Freilich wird niemand etwas dagegen haben, wenn ein Arzt offensichtliche Mißhandlungen anzeigt. Aber wenn er sich erst einmal aufgefordert sieht, die Kinder aus diesem Blickwinkel zu betrachten ... Wohlbekannt ist der skeptische Blick, wenn eine Frau mit einer entsprechenden Verletzung nach einem kleinen Haushaltsunfall in die Praxis kommt: Das war doch wohl ein prügelnder Ehemann?! – Nein, es war wirklich ein Unfall. Nur wie könnte sie das nachweisen? Sie muß es zwar gar nicht nachweisen, aber: sie schämt sich doch.
Wenn aber bei Kindern der kriminalistische Blick zur Aufgabe des Arztes wird: sind dann Eltern noch sicher vor falschem Verdacht? Viele werden sich jedenfalls beim Kinderarzt nicht mehr sicher fühlen.
Und daß Ärzte das nicht wollen, das stärkt mein Vertrauen in die Ärzte.
Ein zweites kommt hinzu: wo es Zwangsuntersuchungen gibt, ist es kein weiter Weg mehr zu Zwangsbehandlungen. Schon bisher hat es Fälle gegeben, wo bei Kindern Sorgerechtsentzug droht, wo bei Erwachsenen Sanktionen der Krankenkassen drohen oder gar – nach einer abgelehnten Bluttransfusion – die Hinterbliebenenrente gestrichen wird.
Dabei ist es doch bekannt, daß es unnötige, zweifelhafte oder unsichere Behandlungsformen gibt, die dennoch eine Zeit lang als Stand der Wissenschaft gelten, und daß außerdem unsere Medizin, die ja Befunde en gros produziert, auch manches zur Krankheit erklärt, was mehr die Statistik beeinflußt als die Gesundheit des einzelnen. Befinden statt Befunde! hörte ich einmal einen klugen Arzt fordern.
Darum ist das Recht des Betroffenen wichtig, außer medizinischer Kriterien auch den eigenen Menschenverstand und das eigene Körpergefühl vor einer Behandlung zu befragen.
Je mehr der Staat die Wirtschaft dereguliert, desto mehr scheint er zum Ausgleich das Leben des einzelnen regulieren zu wollen.
W.H.W

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Januar 2008

Die permanente Revolution

Unser Musikantiquariat zieht um, in die Neustadt. Der Hausbesitzer hat einen zahlungskräftigeren Mieter gefunden.
Wir sind vor zwölf Jahren in ein angenehm kleinstädtisch wirkendes Viertel mitten in der Großstadt gezogen. Lebensmittelläden, Droguerie, Scherenladen, Gardinenladen, einige Restaurants – alles das gab es hier.
Wir waren allerdings nicht die einzigen, denen dieses Viertel gefiel. Die Karawane – «Szene» nennt man das wohl – kam uns nachgezogen, und die Folge: all das, was das Viertel attraktiv macht – Droguerie, Scherenladen, Gardinenladen, manche Lebensmittelläden, und jetzt auch das Musikantiquariat – sind verschwunden, ebenso das eine oder andere Restaurant. Statt dessen Szenelokale, und an jeder Ecke kann man jetzt Händies kaufen (kaufen sich die Szeneleute eigentlich jeden Tag ein neues?).
Bald wird unser Viertel wohl so langweilig sein, daß die Karawane weiterzieht.
Die permanente Revolution hat Mao Tse Tung gefordert – der freie Markt verwirklicht sie.
W.H.W

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Dienstag, 5. Februar 2008

Der Schwächste trägt das Risiko

Wenn jemandem seine EC-Karte gestohlen wird und über sie kurz darauf der Dieb mit der Geheimnummer Geld von einem Bankautomaten abhebt, so geht das auf die Rechnung des Kontobesitzers – er könne denn nachweisen, daß er nicht selbst zur mißbräuchlichen Verwendung der Karte beigetragen hat. So hat es nun das OLG Frankfurt beschlossen (Az. 23 U 38/05).
Nachweisen allerdings kann das Opfer das wohl nur, wenn er das Mitteilungsblatt mit seiner Geheimnummer ungeöffnet vorlegen kann. Das hieße aber, das er weitgehend auf die Benutzung seines Kontos verzichtet hätte – in unserer heutigen Welt kaum noch möglich.
Die Bedingungen für die Kontobenutzung schafft die Bank. Sie hat also die Verantwortung dafür; daher ist es ungerecht, daß das Risiko der Kunde zu tragen hat. Freilich mag man der Bank zugutehalten, es sei ihr nicht zuzumuten, alle Risiken zu tragen; und es kann ja nur ein gewisser (wenn auch nicht geringer) Betrag pro Tag auf diese Weise abgehoben werden. Für Arme jedoch ist auch solch ein Verlust untragbar – im Portemonnaie, das ihnen ja auch gestohlen werden könnte, trügen sie nicht soviel Geld bei sich.
Besonders schlimm ist allerdings die Begründung: das Gericht läßt die Unterstellung der Bank gelten, die Kunden hätten ihre Geheimnummer nicht sorgfältig genug aufbewahrt. Es ist schon an sich ungerecht, zum Nachteil der Kunden dem Urteil eine unbelegte Mutmaßung der Bank zugrundezulegen; darüber hinaus aber ist es mittlerweile bewiesen, daß qualifizierte Fachkriminelle durchaus in der Lage sind, die Geheimnummer zu ermitteln.
W.H.W

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Dienstag, 12. Februar 2008

Ein EU-Gewaltiger gegen das Naturrecht

Ein EU-Kommissar fordert «Nachbesserungen» am deutschen Gleichbehandlungsgesetz: homosexuelle Partner seien nicht unverheiratet, es handle sich bei Ehe und Lebenspartnerschaft «nicht um unterschiedliche Familienstände».
Die Ehe ist anthropologisch vorgegeben, in allen Kulturen in ihren Grundzügen gleich. So hat sie eine naturrechtliche Grundlage, die der Willkür staatlicher Gesetzgebung entzogen ist. Da gleichgeschlechtliche Verbindungen nicht diesem naturrechtlich gegebenen Begriff der Ehe entsprechen, kann staatliches Gesetz diese zwar einführen und regeln, aber nicht zur Ehe machen.
Ein anderes Thema, derselbe Täter:
Kirchen dürfen nach einer EU-Richtlinie bei der Einstellung von Menschen auf deren Glauben achten, wenn dies «nach der Art der Tätigkeit» oder der «Umstände der Ausübung» geboten ist. Daran aber, daß das deutsche Gesetz schon das «Selbstverständnis» der Glaubensgemeinschaft gelten läßt, nimmt er Anstoß – es solle nicht etwa schon bei «einfachen Hilfstätigkeiten» nach dem Glauben eingestellt werden können.
Es ist das natürliche Recht einer sozialen Gemeinschaft, ihre Einrichtungen mit den eigenen Angehörigen zu besetzen. Niemand darf einen Familienbetrieb daran hindern, Angehörige als erste einzustellen. Erst recht gilt das für Einrichtungen der Kirche oder anderer Glaubensgemeinschaften, die nicht wirtschaftlich ausgerichtet sind, sondern einen Dienst ausüben sollen – auch wenn dieser Dienst nicht die Verkündigung ist.
Übrigens muß ein jeder staatlicher Angestellter in dem Staat, in dem und für den er arbeitet, Steuern zahlen. Auch von daher wäre es schon rechtens, daß, wer von einer Kirche bezahlt wird, auch Kirchensteuer an sie zu zahlen hat.
W.H.W

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März 2008

Verbindung von Familie und Beruf

Zu diesem Thema unserer Tage habe ich das vielleicht hellsichtigste Urteil in einem 75 Jahre alten Buch gefunden.
Das Wort hat Dietrich von Hildebrand:
Aber auch das Einhalten der objektiven Rangordnung in der Stellung zu den glückspendenden Gütern ist von entscheidender Bedeutung für die Tiefe und Größe der Persönlichkeit. Wer etwa den Erfolg in der Berufsarbeit als solchen, die bloße Entfaltung seiner Fähigkeiten als Organisator in einer Fabrik oder in einer politischen Partei über das Geschenk einer tiefen Liebesgemeinschaft stellt, wen das erste mehr auszufüllen imstande ist, wer mehr daran hängt innerlich, ist ein begrenzter Mensch. Denn von allen geschöpflichen Gütern ist die wahre Liebesgemeinschaft mit einem anderen Menschen das Höchste und Edelste, wie es die Worte des Hohen Liedes aussprechen: „Gäbe auch ein Mensch alle Habe seines Hauses für die Liebe, für nichts würde man es achten.“
„Je größer der Mann, um so tiefer seine Liebe“, sagt Leonardo da Vinci. An der Art des Glücksdurstes können wir die Größe einer Persönlichkeit erkennen; welche Güter einen Menschen anziehen und in Spannung halten können, entscheidet auch darüber, ob er eine Persönlichkeit im wahren Sinne ist.
Liturgie und Persönlichkeit (Salzburg 1933)
W.H.W

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Samstag, 22. März 2008

Kindervernachlässigung

Eine Nachricht aus einem Hamburger Nachrichtenmagazin darüber, wie zwei kleine Kinder allein ihren todkranken Vater und sich selbst versorgen mußten, zeigt zwei Probleme unserer Bureaukratie auf.
Lehrerin und Schulleiterin des älteren Kindes ersuchen dringend den Jugendhilfedienst um Hilfe. Der aber kann nicht helfen, er ist überlastet. Nun, nach dem Tod des Vaters, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der Erziehungs- und Fürsorgepflicht und wegen fahrlässiger Körperverletzung. Ermittelt werden soll, ob sich «ein konkreter Verdacht gegen bestimmte Mitarbeiter des Jugendamtes ergibt».
Sieben von acht Mitarbeitern des Jugendhilfedienstes, so wird berichtet, hätten Anfang des Jahres Überlastungsanzeigen geschrieben. Warum wird nicht ermittelt, ob sich gegen bestimmte politisch Verantwortliche ein konkreter Verdacht auf diese Straftaten durch Verweigerung zusätzlicher notwendiger Mitarbeiter ergibt?
Der Oberbürgermeister meint, die Behörde habe nicht gut helfen können: «Die Alternative wäre doch gewesen, dem todkranken Vater seine Kinder wegzunehmen», wird er zitiert. Also kennt dieser Politiker als Familienhilfe für einen Todkranken nur eines: ihm seine Kinder wegzunehmen.
W.H.W

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Donnerstag, 17. April 2008

In welch einem Staat leben wir

der Kinder verstaatlichen und die Bahn privatisieren will? – so ist in einem Internetztagebuch zu lesen. Gut gesagt – allerdings erweckt das den Eindruck, dies sei ein paradoxer Gegensatz. Sieht man aber näher hin, so zeigt es sich, daß es in Wirklichkeit zwei Schritte in die gleiche Richtung sind.
Privatisieren – das heißt ja nicht, etwas Privatleuten zu überlassen, die davon betroffen sind, sondern es heißt, es an «Investoren» zu verkaufen, an wirtschaftliche Acteure, die dann damit Profit machen wollen. Nun sind diese Wirtschaftsacteure, anders als der Staat, keiner Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterzogen. Das heißt: während bei der Kindererziehung in öffentlichen Einrichtungen ein erster Schritt geschieht, etwas dem Zugriff der einzelnen betroffenen Menschen zu entziehen, folgt bei Privatisierungen ein weiterer: hier wird etwas auch dem Zugriff der Öffentlichkeit entzogen, an der die einzelnen ja noch in gewisser Weise teilhaben.
W.H.W

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Dienstag, 6. Mai 2008

Muttertag

«Nun stellte der Floristenverband klar: Muttertag ist am 11. Mai, der dieses Jahr gleichzeitig Pfingstsonntag ist. Fast alle Länder gestatteten Sonderöffnungszeiten am Feiertag. Damit stehe dem Geschenkekauf nichts mehr im Wege. (epd)» lese ich in der tageszeitung.
Somit ist es klar, was Mutter am Muttertag tun wird: sie wird im Laden stehen und Blumen oder sonst etwas verkaufen.
W.H.W

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Donnerstag, 8. Mai 2008

Religionsfreiheit

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf, lese ich in einer dpa-Meldung, hat gestern eine Klage muslimischer Eltern abgewiesen, ihre Tochter aus religiösen Gründen vom mit Jungen gemeinsamen Schwimmunterricht zu befreien.
In diesem Land, in dem so viel von «multikulturell» die Rede ist, ist ein Gericht also nicht bereit, um der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit willen von einer staatlichen Maßnahme zu dispensieren, einer Maßnahme, hinter der nicht einmal ein erkennbares öffentliches Interesse steht.
Ich sympathisiere nicht mit dem Islam. Aber ich bin für angemessene Religionsfreiheit. Und ich bin für Ehrlichkeit: wenn diese Religionsfreiheit nun einmal im Grundgesetz festgelegt ist, wenn Muslime im Vertrauen darauf hierhergezogen sind und sogar eingebürgert wurden, so muß dieses Recht auch geachtet werden.
Außerdem habe ich bei staatlichen Angriffen gegen den Islam den Verdacht, daß oft nicht nur der Islam gemeint ist, sondern alle Religion, auch das Christentum, daß letztlich hinter jeglicher staatlichen Entscheidung die Religionsfreiheit, auch die unsere, zurückstehen soll.
W.H.W

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Donnerstag, 15. Mai 2008

Freie Marktwirtschaft: nicht sozial, aber «sozialistisch»

Eigentlich geht es Jost Maurin in seinem Artikel in der tageszeitung um etwas anderes, um gentechnikfreie Zonen. Wie so oft, wird dabei halb am Rande etwas keineswegs weniger wichtiges erwähnt:
«In der brandenburgischen Uckermark fürchten Bauern einer gentechnikfreien Region um ihr Land. Grund ist die geplante Privatisierung von Flächen, die die Bauern derzeit gepachtet haben. Der Bund will sie verkaufen. Die Landwirte haben nun Angst, dass sie bei einer Versteigerung gegen Investoren verlieren könnten, die ... . „Die Preissteigerungen bei Agrarrohstoffen ziehen viel spekulatives Kapital an“, warnt Landwirt Martin von Haaren.»
«Privatisieren» heißt also, das Land den Bauern, die es bisher genutzt haben, wegzunehmen, um es Investitoren zu übergeben, die bei einer Versteigerung sich den Zuschlag zu sichern vermögen. Die nun werden danach voraussichtlich das Land nicht mit eigener Arbeit in bäuerlicher Landwirtschaft bebauen wollen, sondern werden es eher durch Manager bewirtschaften lassen, die dann mit agrarindustriellen Mitteln «die Erträge steigern wollen».
Das Land wird also demnach aus der Hand derer, die es bewirtschaften, in die Hand einer Agrarindustrie-Bonzokratie geraten, die es im Interesse von Investitoren verwalten werden, wohl weniger im Interesse der jetzigen Bauern.
«Privat» im Sinne dieses «Privatisierens» ist nicht, was in den Händen derer ist, die bisher das Land bebauen, sondern nur, was Investitoren gehört. Und dabei denke ich daran, daß «privare» «berauben» bedeutet.
Was unterscheidet diesen Funktionärskapitalismus, der das Land den Bauern nimmt (funktional gesehen sind auch Pächter Bauern, nicht nur Landeigentümer) und es in die Hand von Funktionären gibt, von einem Sozialismus, der seinerzeit genau dies auch tat?
Siehe auch: • Die Revolution in L •
W.H.W

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Donnerstag, 22. Mai 2008

Gewissen ist «vergabefremd»

Eine gute Nachricht in der tageszeitung: das Bundeskabinett hat ein «Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts» verabschiedet, das es ermöglicht, öffentliche Aufträge an soziale und ökologische Kriterien zu binden. «Der Arbeitskreis Mittelstand der Union», so liest man weiter, «versuchte bis zuletzt, die sogenannten vergabefremden Kriterien aus dem Entwurf zu streichen». Nach Meinung dieses Arbeitskreises einer sich christlich nennenden Partei wäre also Gewissen bei öffentlichen Aufträgen «vergabefremd».
W.H.W

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Samstag, 19. Juli 2008

Die Grenzen unseres Rechtsstaats

Die Westeuropäer sind stolz auf ihren Rechtsstaat, in dem die Todesstrafe abgeschafft ist, in dem jeder staatliche Versuch, durch Folter Geständnisse zu erzielen, zum angemessenen öffentlichen Aufschrei führt (jedenfalls wenn er bekannt wird). Und die Ehrenmorde von Menschen anderer Kulturen werden nicht nur wirklich als Morde verfolgt, sondern ziehen auch große politische Aufmerksamkeit auf sich.
Was aber ist die Wirklichkeit?
Der Täter eines Ehrenmordes wird nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags zu einigen Jahren hinter Gittern verurteilt. Seine Angehörige aber, deren Zeugenaussage die Verurteilung ermöglicht hat, wird nicht ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen: ihre Kooperationsbereitschaft sei fraglich – wohlgemerkt nachdem sie bereits ausgesagt hat!
So ebnet denn unser Rechtsstaat dem naheliegenden Vollzug der privaten Todesstrafe an einer aufrichtigen Zeugin samt leicht vorstellbaren möglichen Mißhandlungen den Weg.
W.H.W

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Dienstag, 15. Juli und Montag, 21. Juli 2008

Bier auf dem freien Markt

«Wer soll diese Plörre saufen?» fragt die tageszeitung auf der Titelseite. Was ist geschehen?
Nun: es hat einfach ein großer Braukonzern eine andere große Brauerei übernommen. Aber zudem ist zu erfahren, wie die Konzentration der Brauereien fortschreitet, wie – leserbrieflich dann bald bestätigt – infolgedessen immer mehr Bier einen faden Einheitsgeschmack bietet. Und da dankenswerterweise eine kleine Übersicht beigegeben ist, welche Biersorten bereits zu den allergrößten Konzernen gehören, verstehe ich nun, wieso jenes Bier aus Süddeutschland, das mir als Jugendlichem so zusagte, mir heute, als ich es kürzlich wiederentdeckt habe, nicht mehr schmeckt.
Zweierlei läßt sich daraus über freien Markt lernen: er führt zu Konzentration, mit anderen Worten: er schafft sich selber ab. Und die Qualität der Ware sinkt (der Preis aber nicht).
Zugegeben, beides ist nicht gerade neu. Aber wem die gerade in diesem Jahr wieder so zunehmende Verelendung der Dritten Welt und die Reproletarisierung der westeuropäischen Unterschichten nicht genügt, zu erkennen, daß die Wirkungen des freien Marktes keineswegs wohltätig sind, der kann das nun in der Kneipe erfahren.
W.H.W

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Samstag, 2. August 2008

Staat und Konzern

Sieben Bürgermeister protestieren: eine Warenhauskette ist insolvent und will sich darum aus Schleswig-Holstein zurückziehen.
Die Schließung der Filialen sei für die Kleinstädte «ein derber Schlag», zitiert die tageszeitung den Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands Nord. Das breite Angebot des meist einzigen Kaufhauses der Mittelzentren erfülle «wesentliche Aufgaben für die Versorgung der Bevölkerung».
Wie kam es dazu? Man darf raten: früher wird es in all diesen Städten etliche kleine Läden gegeben haben, die damals «wesentliche Aufgaben für die Versorgung der Bevölkerung» erfüllten. Dann kam die Warenhauskette und machte die Läden überflüssig; ob die Besitzer am Ende nur keine Nachfolger fanden oder ob sie ihrerseits insolvent geworden waren – wer weiß?
Das – die Entwicklung zur Alleinherrschaft der Warenhauskette – ist der kapitalistische Lauf der Dinge. Wodurch unterscheidet er sich eigentlich vom sozialistischen – der Enteignung der Läden?
In beiden Fällen werden die örtlichen Gewerbetreibenden ausgeschaltet; und die Bevölkerung wird abhängig von der Macht ferner Schaltstellen – hier Konzern-, dort Parteizentralen. Hier wie dort haben es die einzelnen Menschen am Ort in gleicher Weise auszubaden.
W.H.W

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Montag, 29. September 2008

Lobbyisten arbeiten in Ministerien

Vor einigen Monaten gab es einen Skandal: Angestellte von Wirtschaftskonzernen arbeiten mit in Ministerien. Als das ruchbar wurde, gelobte die Regierung zwar nicht geradezu Besserung, aber immerhin erließ sie, auf Drängen sämtlicher (!) Bundestags-Fraktionen, eine Verwaltungsvorschrift, die den Mißbrauch einschränken sollte. Und heute erfahre ich aus der Tageszeitung, daß sich die Bundesregierung nicht an ihre eigene Vorschrift hält, daß etwa in Umwelt-, Gesundheits- und Finanzministerium weiterhin Lobbyisten verschiedener Konzerne selbst über die lauen Maßgaben jener Verwaltungsvorschrift hinaus mitarbeiten, um den Bedarf an Fachwissen abzudecken. Und man darf gespannt sein, ob vielleicht bald zu erfahren sein wird, daß zu ebendiesem Zweck Mitglieder der Mafia im Justiz- oder Innenministerium mitarbeiten.
Wenn es wirklich um notwendiges Fachwissen geht, warum sind es dann Konzernangestellte, die von den Ministerien herangezogen werden, und nicht Leute von Verbänden, die für die Interessen der Bevölkerung eintreten, etwa vom BUND, von ATTAC, von Bürgerinitiatven, die ja reichlichst Sachverstand angesammelt haben.
Welche Interessen zeigt nun die Auswahl der Fachleute durch die Regierung?
W.H.W

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Montag, 10. November 2008

«Freies Spiel der Kräfte»

soll in der Wirtschaft von Nutzen sein, so behaupten es Marktliberale. Wie aber ist die Wirklichkeit?
Eine nahe Angehörige liegt im Krankenhaus, einer privaten Rehabilitationsklinik. Sie ruft mich an, ich bin aber nicht zuhause. Ich sehe ihre Nummer auf meinem Telephon, will zurückrufen, aber das geht nicht: ich höre eine Ansage, daß ich sie nur über eine kostenpflichtige «Service»-Nummer erreichen kann. Es ist also ein «Service» des Krankenhauses, für den man bezahlen muß, daß man einen Patienten auf dem Telephon anrufen darf, für das er sowieso schon zu bezahlen hat.
Jemand hat in einem Möbelhaus auf der grünen Wiese eingekauft, muß nun fehlende Teile reklamieren. Beim Möbelhaus vorbeizugehen oder zu fahren wäre aufwendig, also ruft man besser an Nur: das Möbelhaus gibt ausschließlich eine kostenpflichtige «Service»-Nummer an. Es ist also ein «Service» des Möbelhauses, für den man bezahlen muß, daß man fehlende oder schadhafte Lieferungen reklamieren darf.
Freies Spiel der Kräfte ohne rechtliche Regulierung führt offenkundig unweigerlich zur größtmöglichen Gemeinheit.
Sicher, bei diesen «Service»-Nummern geht es um recht geringe Beträge. Anders sieht es aus, wenn ein Psychotherapeut oder Arzt einen Kassensitz sucht. Kassensitze sind ja von ihrer Idee her eine sinnvolle Regulierung, die zerstörerische Konkurrenz ausschließen soll. Aber diese Regulierung geht nicht weit genug, sie hat nicht verhindert, daß aus diesen Kassensitzen, die ja zunächst unentgeltlich vergeben wurden, eine Art von Privateigentum geworden ist. Obwohl es Kassensitze für Psychotherapeuten erst seit weniger als zehn Jahren gibt, muß man für einen solchen heute bereits oft mehr als 50 000 – an den Vorgänger zahlen. Dabei ist schon die Ausbildung für einen Psychotherapeuten mit wesentlich höheren Kosten verbunden als für einen Arzt. Das heißt, daß für diesen Beruf wirtschaftliche Qualifikation – reiche Eltern oder finantielles Geschick – immer wichtiger werden, die fachlichen Fähigkeiten hintangesetzt werden.
W.H.W

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Mittwoch, 12. November 2008

Das Ende der Gewaltenteilung

Von der Bundesregierung war ein – wenig angemessener – Steuererlaß angekündigt worden. Bald darauf aber wurde dieser Plan wieder zurückgezogen. Der Landesgruppenchef einer kleinen Koalitionspartei im Bundestag jedoch protestierte: der Vertrauensschutz breche zusammen, wenn das Gesetz nicht gemacht werde.
Gewaltenteilung sei, so wird in der Schule gelehrt, eine Grundlage unserer Verfassung. Oft jedoch ergab sich schon der Eindruck, daß die Parteienmehrheit um des Zieles willen, die Regierung zu stellen, dieser das Vorrecht des Parlaments, die Gesetzgebung, weitgehend abtritt. Nun aber hat das also ein führender Politiker der Regierungskoalition deutlich ausgesprochen: bereits die Ankündigung eines Gesetzes durch die Regierung, die Exekutive, reicht demnach aus, daß das Parlament, die Legislative, der Entscheidung der Regierung Folge zu leisten hat.
W.H.W

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Montag, 15. Dezember 2008

Pacta sunt servanda
 – was heißt das?

Daß Verträge einzuhalten sind, ist nicht nur ein juristischer, sondern auch ein moralischer Grundsatz. Warum?
Es ist die Entscheidung des ecuadorianischen Präsidenten, Zinszahlungen für Staatsschulden nicht zurückzuzahlen, die diese Frage aktuell aufwirft. Er betrachtet diese Schulden als nicht rechtmäßig und unmoralisch – ist das ein gültiges Argument?
Verträge sind aus zwei Gründen bindend: einerseits gewährleisten sie einen angemessenen Ausgleich von Leistungen – die Zahlung eines Preises etwa für eine Ware –, andererseits enthalten sie von beiden Seiten ein Versprechen.
Wenn aber es keinen Ausgleich von Leistungen gibt, wenn jemand getäuscht oder zu einem Abschluß gezwungen wird oder wenn ein Bevollmächtigter eine hohe Gegenleistung für etwas Wertloses vereinbart zum Schaden dessen, den er vertritt, ist der erste Grund hinfällig.
Dann bleibt als Grund nur das Versprechen. Der heilige Alfons von Liguori nun hat immerhin vierzehn Umstände zusammengestellt, die die Bindung durch einen Eid aufheben. Was für einen Eid gilt, gilt erst recht für andere Versprechen. Einer dieser Umstände ist, daß die Befolgung des Eides gegen das öffentliche Wohl verstieße. Kommen solche zwei Dinge – kein echter Ausgleich und ein Umstand, der die Bindungskraft des Eides aufhebt – zusammen, dann verliert also ein Vertrag seine Bindungskraft.
Nehmen wir einen Extremfall zum Beispiel. Ein Dritt-Welt-Diktator verschuldet sein Land, um ein Atomkraftwerk bauen zu lassen in der Nähe einer Millionenstadt, nahe einem Erdbebenherd, nahe einem tätigen Vulkan. Der Diktator wird gestürzt, das Kraftwerk wird wegen der übergroßen Gefahr nie in Betrieb genommen, aber der Staat muß nichtsdestoweniger dafür zahlen – an die Banken, die dem Diktator den Kredit bewilligt hatten in voller Kenntnis der Risiken des Projekts.
Was wie eine Ansammlung von Clichés klingen mag, ist Realität: es ist das Kraftwerk Bataan in der Nähe von Manila, nahe am Vulkan Mt. Pinatubo, der dann 1991 auch wirklich ausbrach. Die Kosten dieses Kraftwerks haben seitdem die Philippinen zurückzuzahlen – nicht etwa der Diktator Marcos, der es mit einer Beute von fünf bis zehn Milliarden US-Dollar auf den zweiten Platz einer Weltrangliste der Kleptokraten gebracht hat, noch seine Erben –, sie bilden den größten Posten des Staatshaushalts.
Daß solch ein extremer Fall möglich ist, zeigt, wie fragwürdig die moralische Verbindlichkeit von Staatsschulden von Dritt-Welt-Ländern ist. Die konkreten Schulden blieben im einzelnen zu prüfen; grundsätzlich aber ist die Einschätzung des ecuadorianischen Präsidenten glaubwürdig.
W.H.W

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Mitte Januar 2009

Ethikunterricht – warum nicht?

Am 21. entscheidet es sich, ob die Initiative «Pro Reli» in Berlin ein Volksbegehren durchsetzen kann, das den obligatorischen Ethikunterricht beseitigen könnte.
Was ist schlecht an Ethikunterricht?
Nichts. Schlecht ist es nur, wenn der Staat den Ethikunterricht bestimmen will. So wie jeder einzelne Mensch muß sich auch die Politik ethischen Maßstäben unterwerfen. Wenn aber durch einen staatlich bestimmten Ethikunterricht der Staat sich daran macht, das Gewissen der einzelnen zu formen, so droht er diese Maßstäbe fortan selbst zu bestimmen. So wird kritische Sicht auf die Maßnahmen der Politik beschnitten; so werden die Anforderungen an das eigenständige Denken und an den moralischen Mut erhöht, sich den Forderungen der «political correctness», der Mode also und der Macht, zu widersetzen.
W.H.W

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Samstag, 14. März 2009

Gerechtigkeit – auch für Bauern?

Unter dem Titel «Flüsse als Privatbesitz» berichtet die tageszeitung von drohender Gewässerprivatisierung in der Türkei. «Das Land wolle unter anderem die Nutzungsrechte an den Flüssen Euphrat und Tigris verkaufen ... Noch in diesem Jahr wolle die Türkei die Nutzungsrechte für 49 Jahre an Großkonzerne verkaufen.» «„Über 20 Millionen Kleinbauern werden ihre Existenz verlieren“», wird Kenan Demirkol zitiert. «„Viele Bauern werden sich kein Wasser mehr leisten können, um ihre Äcker zu bewässern“».
Was der türkische Staat beabsichtigt, ist nicht nur schädlich und menschenfeindlich, es verstößt auch gegen die Gerechtigkeit. «Freilich gibt es gerechtes Eigentum; die Ratio des Eigentums ist, daß der Mensch das verläßlich zur Verfügung hat, was er für seine Lebensführung braucht. Wenn aber Eigentum der Gerechtigkeit übergeordnet wird oder wenn ein formaler Eigentumsbegriff das Recht am eigenen Lebensraum oder am eigenen Werk verdrängt, so wird Eigentum zu einem ungerechten Prinzip» heißt es in «Gerechtigkeit» (E&E7/2002).
Der gute Sinn des Eigentums ist also, es den Menschen zu ermöglichen, ihr Leben in der Art weiterzuführen, wie sie von ihren Vorfahren übernommen und es selbst sich aufgebaut haben. Das muß geachtet werden, soweit es keinen Schaden anrichtet und nicht in die Rechte anderer Menschen übergreift.
Der Bauer braucht Wasser für den Ackerbau; wo dieses nicht ausreichend durch Niederschläge vorhanden ist, braucht er Flußwasser. Und dieser Anteil am Flußwasser, der herkömmlich den Bauern zukommt, muß ebenso als gerechtes Eigentum gewertet werden wie der Boden, den der Bauer bewirtschaftet. Was also dort beabsichtigt ist, ist eine ungerechte Enteignung.
Wenn jemand meint, solche Ungerechtigkeiten seien in westlichen Staaten nicht möglich, muß sich von einem deutschen Gewerkschaftsvertreter eines schlechteren belehren lassen: dieser «warnte, daß auch in Ostdeutschland komplette Gewässer zum Verkauf ausgeschrieben sind» (a.a.O.).
W.H.W

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Mittwoch, 20. Mai 2009

Post von der GEZ

Neue spannende, durchaus glaubwürdig klingende Gerüchte gibt es: es soll eine neue Technik in der Entwicklung sein, mit der man Radio- und vielleicht auch Fernsehsendungen durch das Wasserleitungsnetz übertragen kann. Nicht, daß es leicht wäre, solch eine Radiosendung aus der Wasserleitung vom normalen Wasserglucksen zu unterscheiden; aber immerhin würde die neue Technik es ermöglichen, für jeden Wasserhahn in beruflich genutzten Räumen GEZ-Gebühren zu erheben.
W.H.W

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Samstag, 20. Juni 2009

Fortsetzung des Sozialismus mit anderen Mitteln

In ehemals deutsch-demokratischen Landen hat der Sozialismus ziemlich viel an kleinen privaten Geschäften abgeräumt. Und dennoch entdeckt man in Obersachsen etliche, die ihn mehr oder weniger heil überstanden haben
Bäckereien, Metzgereien, manches andere; manchmal kann so ein Geschäft sich einer Geschichte von dreiviertel Jahrhunderten rühmen.
Viele sind freilich verschwunden. Allerdings: hat das nur der Sozialismus getan? In westdeutschen Städten sieht es nicht besser aus, eher noch schlimmer; hier hat der Konzernkapitalismus das gleiche getan, nur noch effektiver. Und nun lese ich in der tageszeitung, daß in Rom, wo es, ebenso wie im übrigen Italien, bisher noch wesentlich besser aussah, nun ebenfalls kleine Fachgeschäfte verdrängt werden von Läden mit den Einheitswaren der Globalisierung und mit Touristensouvenirs. Immerhin: in anderen italienischen Städten gibt es Gesetze, die das verhüten; in Rom aber nicht. Und in Madrid geht das gleiche vor.
Der Konzernkapitalismus ist die Fortsetzung des Sozialismus mit anderen Mitteln.
Nachtrag von Dienstag, 23. April 2019:
«In Sachsen hat innerhalb von zehn Jahren ein Viertel der handwerklichen Bäckereien und Fleischereien geschlossen.» (dpa/sn)
Siehe auch: • Die Revolution in L •
W.H.W

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Juli 2009

Zwangsräumung

Eine Wohnung wird zwangsgeräumt. So erfahre ich jetzt, was das eigentlich bedeutet: Eine Räumungskolonne rückt an und packt einfach alles, was in der Wohnung ist, nach draußen. Der Bewohner mag es bergen; wenn er das nicht kann, wenn er etwa keinen Ort hat, seine Sachen unterzubringen, wandert schließlich alles in den Müll.
«Die Wohnung ist unverletzlich» heißt es im Grundgesetz [Art. 13 (1)]. Daß dieser Satz wenig bedeutet, weiß ich längst. Dann aber heißt es auch: «Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet» [Art. 14 (1), Satz 1]. Daß auch dieser Satz unseres Grundgesetzes so schnell schon nichts mehr gilt, verwundert mich doch. Sicher, ganz unschuldig ist der Bewohner dieser Wohnung nicht an seiner Lage; aber es gibt keinen Gerichtsbeschluß, der ihm sein Eigentumsrecht entzöge. «Zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht» hat er es jedenfalls nicht – das wäre nach Artikel 19 Grund, ihm dieses Recht ganz zu entziehen. Hier aber reicht ein Gerichtsbeschluß oder ein einfaches Urteil, aus irgendeinem Grund erlassen, dazu aus, den Betroffenen fast seines ganzen Eigentums zu berauben.
W.H.W

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Freitag, 31. Juli 2009

In dubio pro possessoribus?

Vom «Fall der Berliner Supermarktkassiererin Barbara E. („Emmely“), die unberechtigt zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst haben soll und deshalb gekündigt wurde», der kürzlich für Aufsehen gesorgt hatte, berichtet die tageszeitung; «das Landesarbeitsgericht Berlin entschied zugunsten des Arbeitgebers.» Dankenswerterweise schließt sie eine Sammlung verwandter Fälle an, die es in letzter Zeit hierzulande gegeben hat.
Zum Beispiel:
Ein privates Entsorgungsunternehmen kündigte einem Müllarbeiter fristlos, weil er ein Kinderreisebett «aus dem Müll fischte und es mit nach Hause nahm... » – sonst wäre «das Bett ... verschrottet worden». Zunächst «hatte die Vorsitzende Richterin ... versucht, das Entsorgungsunternehmen und [den Müllarbeiter] zu einem Vergleich zu bewegen», welcher diesen den Arbeitsplatz gekostet hätte. Am Ende kam er recht glimpflich davon: «Zwar sei es tatsächlich Diebstahl, das Kinderbett mit nach Hause zu nehmen», doch angesichts dessen, daß «das Bett für den Arbeitgeber keinerlei Wert gehabt habe», sei «das Maß des Verschuldens ... gering».
Eine Küchenhilfe hatte «nach Feierabend drei Fischbrötchen mitgenommen, ohne sie zu bezahlen» – die Brötchen waren «sowieso für den Müll bestimmt». Nichtsdestoweniger «erklärte das Arbeitsgericht Frankfurt am Main» ihre fristlose Kündigung «für rechtmäßig».
Welch ein Rechtsverständnis, das es erlaubt, es Diebstahl zu nennen, wenn jemand Ware davor bewahrt, in den Müll zu geraten, gar noch gute Nahrung vor dem Müll rettet!
W.H.W

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August 2009

Der dümmlichste Spruch

Bei den obersächsischen Kommunalwahlen vor einigen Wochen war der Titel für die dümmlichste Wahlwerbung dem bewährten Inhaber entgangen; eine gewisse «Vosi» wußte ihm erfolgreich Konkurrenz zu machen. Doch nun, beim Landtagswahlkampf, ist die Welt wieder in Ordnung:
«Steuern runter/Arbeit muss sich lohnen» ist gelb auf Blau zu lesen. Ich hoffe doch sehr, daß meine Arbeit sich lohnt, daß sie den Klienten Nutzen bringt – was hat das mit Steuern zu tun?
Aber lassen wir uns einmal ein auf den mutmaßlichen Gedankengang dieser Partei: Arbeit müsse sich finantiell lohnen, meint sie wohl. Aber weiß sie denn nicht, daß sie das sowieso tut, weiß sie nicht, wie wenig ein Arbeitsloser, gar Langzeitarbeitsloser erhält? Arbeit, zumal Arbeit, die so gut bezahlt wird, daß man steuerpflichtig ist, lohnt sich hierzulande immer.
«Berufstätige entlasten» steht anderswo, ebenfalls gelb auf Blau. Wie kann man Berufstätige entlasten, etwa die Lehrerzahlen erhöhen, die Pflegesätze anheben und so den Arbeitsdruck vermindern, der auf Lehrern und Pflegekräften lastet, wenn man die Steuern senkt? Aber man ahnt, daß diese Partei gar nicht das meint, was sie sagt.
Wiederum gelb auf Blau ist zu lesen: «Die kann man wählen» (womit diese Partei sich selber meint). Genau das ist das Problem.
W.H.W

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Samstag, 19. September 2009

Sicherheit nur noch für Wohlhabende?

In einem Interview in der tageszeitung plaidiert ein Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses für Videoüberwachung in S- und U-Bahnen. Da mir die Ablehnung solcher Videoüberwachung oft hysterisch erscheint (Datenschutz wird bevorzugt an der unwichtigsten Stelle gefordert), lese ich das Interview zunächst arglos.
Doch dann kommt: «Ich wäre dafür, dass man in S- und U-Bahn besondere Waggons einführt. Die Fahrkarte kostet dann etwas mehr, dafür sind dort Sicherheitskräfte. Wer sich sicher fühlen will, geht dorthin. Dann brauchen wir auch keine Videoüberwachung mehr. Leider ist das nie richtig diskutiert worden.»
Sicherheit in öffentlichen Einrichtungen nur für den, der es sich leisten kann, auch dann noch leisten kann, wenn es «dann etwas mehr» kostet!
W.H.W

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Samstag, 10. Oktober 2009

Ein Nachruf auf die abendländische Küche im deutschen Norden

Schon lange ist mir bewußt, daß wir eine Köstlichkeit wie etwa Herzen Gästen nicht ungefragt vorsetzen können – und wenn wir fragen, bekommen wir meistens eine Absage. Was dahinter steht, hat Rainer Schäfer in einem ausführlichen spannenden Essai aufgeklärt. «Geschmack war lange Zeit der wichtigste Indikator für Qualität, diese Regel gilt so nicht mehr. Fleisch muss aussehen, als ob es nicht von lebendigen Kreaturen käme: Wie in der Fabrik gefertigt, mit neutralem Design, fertig portioniert», ist da etwa zu lesen.
Mir scheint, daß in Zeiten der neuen Religion, der «Politischen Korrektheit», die Menschen mehr und mehr sich zu Vegetariern umerziehen lassen; und wer nicht wirklich vegetarisch leben will, verdrängt zumindest den Fleischkonsum. Ich allerdings esse lieber vegetarisch, als in irgendwelchen Gerichten irgendwelches Nicht-mehr-richtig-Fleisch zu finden wie etwa amorphe Streifen von einem Tier aus dem Geflügel-Guantanamo. Freilich weiß ich auch, daß es in Norddeutschland zuvor schon schwierig war mit manchen Innereien und mit Tieren, die nach Tieren aussehen, Schnecken etwa – das Problem ist älter als die Indoktrination der letzten zwei Jahrzehnte.
Aber noch ist das Abendland nicht ganz verloren: «In den großen Küchen Frankreichs und Italiens sind Innereien ein fester Bestandteil», lese ich. Und auch in Deutschland ist noch nicht alles aus: «die Grenze bildet der Main».
Die Sache hat nicht nur einen kulinarischen, sondern auch einen moralischen Aspekt: «Es gibt immer weniger Köche, die ganze Tiere verwerten. Für mich hat das auch mit Ethik zu tun. Mit Respekt vor der Kreatur und der Schöpfung», so wird der Koch Jörg Ebermann zitiert.
Und auch eine politisch-moralische Seite hat dieses Problem: «Von Hühnern werden in Deutschland fast nur noch die Brüste und Schenkel gegessen, die Füße werden nach Südostasien verkauft, die Innereien nach Russland. Die anderen Geflügelteile nach Afrika, wo sie die örtlichen Kleinbauern ruinieren, die für ihre Tiere keine rentablen Preise mehr erzielen können.»
W.H.W

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Mittwoch, 25. November 2009

Ungerechtigkeit unter dem Vorwand der Gleichheit

Der Koalitionsvertrag der künftigen bundesdeutschen Regierungskoalition sieht vor, die Kündigungsfristen für Mieter und Vermieter anzugleichen (so wie es vor 2001 war). Das klingt nach Gleichheit; und «gerecht wird genannt, was gemäß irgendeiner Gleichheit (secundum aliquam æqualitatem) dem anderen entspricht» (S. Th.: S. Th. IIa IIæ q. 57 a. 1) – ist es also gerecht?
Es ist ungerecht, denn die Gleichheit besteht nur scheinbar. «Wenn aber Eigentum der Gerechtigkeit übergeordnet wird oder wenn ein formaler Eigentumsbegriff das Recht am eigenen Lebensraum oder am eigenen Werk verdrängt, so wird Eigentum zu einem ungerechten Prinzip» (Gerechtigkeit [E&E 7/2002]). Die Wohnung ist viel mehr Grundlage des Lebens des Mieters als dessen des Vermieters, darum hat das Recht des Mieters einen gewissen Vorrang (ohne freilich das Recht des Vermieters aufzuheben!). Es ist der Mieter, der, wenn ihm gekündigt wird, die Not hat, eine neue geeignete Wohnung zu finden und den Umzug zu bewerkstelligen. Und er ist andererseits, wenn er seinerseits eine Kündigungsfrist einzuhalten hat, in der Regel in einem Großteil dieser Zeit durch doppelte Mietzahlung belastet: für die bisherige und für die neue Wohnung (das geht sogar auf die Kosten des Mieters, wenn er als Empfänger von «Arbeitslosengeld II» auf behördliche Weisung die Wohnung wechseln muß).
Eine vergleichbare Zwangslage des Vermieters gibt es nicht. Deshalb stellen gleich lange Fristen für Mieter und Vermieter keine Gleichheit her, sondern verschärfen die Ungleichheit.
W.H.W

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Freitag, 19. März 2010

Wirkliche Marktwirtschaft

Im Zug von Yogyakarta nach Jakarta – ein Zug der «Bisnis»-Klasse; das heißt: im Unterschied zu Zügen der Ersten Klasse dürfen Händler mitfahren. Es fängt zunächst langsam an; aber nach der zweiten oder dritten Station ist der Zug voll von ihnen. Manche fahren nur kurze Zeit mit, andere stundenlang. Alles mögliche wird verkauft, Gebrauchsgegenstände, Volkskunst, Spielereien, vor allem aber Getränke und Eßwaren, industrielle Fertiggerichte, aber auch viel Obst und Selbstzubereitetes – erfahrenere Reisende wissen, von wem sie gutes Essen bekommen.
Manchmal leert sich der Zug, so daß gelegentlich Minuten vergehen können, bis der nächste Händler kommt, meist aber sind etliche von ihnen im Wagen. Und die meisten preisen ihre Ware mit singender Stimme an, meist auf einem Ton (der gern etwas absackt, aber am Ende finden sie doch den Ausgangston wieder); eine stimmlich begabte Frau weiß den Ton zu halten und am Schluß durch einen Halbtonfall ihrem Angebot eine elegische Note zu geben.
Aber auch Bettler kommen herein, jemand singt ein Lied vor und hofft auf Spenden; manchmal fegt ein Junge den Boden und hält dann die Hand auf.
Eine wirkliche Marktwirtschaft, die auch ärmeren Händlern eine Möglichkeit gibt. Aber das scheint es nicht zu sein, was unsere «Marktwirtschaftler» wollen; sie versuchen nicht, das Diktat der vom Eigentümer auferlegten Hausordnung («In ... ist ein Brezelverkäufer zugestiegen») aufzubrechen.
W.H.W

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Freitag, 16. April 2010

Wer darf diskriminiert werden?
 oder:
Zu früh die Blauhemden abgelegt

Wer darf in Zeiten des Antidiskriminierungsgesetzes noch diskriminiert werden?
Christen natürlich; sie dürfen bei Bedarf auch ins Gefängnis gesteckt werden. Behinderte Menschen vor der Geburt (einmal abgesehen vom allgemeinen Thema: Menschen vor der Geburt). Arbeitslose natürlich, besonders Langzeitarbeitslose. Kinderreiche Familien auch.
Das ist alles klar; manches andere ist komplizierter. Auch Frauen dürfen diskriminiert werden; allerdings nicht überall, wohl aber bei Renten- und privaten Krankenversicherungen. Bei Menschen mit besonderen sexuellen Gepflogenheiten hängt es davon ab, ob diese Gepflogenheiten offiziell (ICD10 F66/F65) den Titel «Geschlechtsidentität» erhalten haben oder noch als «Störung der Sexualpräferenz» eingeordnet werden.
Nun ist eine bisher offene Frage gerichtlich entschieden worden: «Ossis» dürfen diskriminiert werden – sie seien «keine eigene Ethnie im Sinne des AGG. Es fehle an Gemeinsamkeiten in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung und Ernährung».
W.H.W

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April 2010 — August 2012:
• MORALIA III •
August 2012 — Dezember 2013:
• MORALIA IV •
Januar 2014 — November 2015:
• MORALIA V •
Dezember 2015 — Juni 2017:
• MORALIA VI •
Juli 2017 — Januar 2020:
• MORALIA VII •
Ab März 2020:
• MORALIA VIII •

Orietur Occidens