Ritus Ecclesiae
in temporum tempestate

 • Der Triumphzug der Dummheit: II. Das Wunder der Kommission
 – Die Neuordnung der Liturgie – •

 • Die neuere Geschichte der «actuosa participatio» •

 • Liturgie im Sinne des II. Vatikanischen Konzils •

 • «Kyrie eleïson» •

Nota bene:

 • Neue kritische Prüfung des «Novus Ordo Missae» •

E&E 17 S.29-32  2012
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Triumphus stultitiae
Der Triumphzug der Dummheit

II. Das Wunder der Kommission

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Die Neuordnung der Liturgie

Ein schwieriges Problem stellt es dar, das Geflecht von Kommissionen zu durchschauen, welche in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die Liturgie neu ordneten. Es wäre leicht, ganz vieles der neuen Ordnungen als Dummheit einzustufen. Doch damit täte man in manchem den Kommissionen Unrecht. So war etwa der Abbau der Beteiligung des Volkes, die ein Prinzip der Liturgischen Bewegung gewesen und unter der Bezeichnung «actuosa participatio» in die Konstitutionen des II. Vaticanum eingedrungen war, keine Frucht der Dummheit und der menschlichen Arbeit; vielmehr war dieser Abbau der «participatio» gewollt, wie an anderer Stelle gezeigt sei.
Doch gibt es auch für Dummheit genügend Beispiele. Ein erstes liefert bereits das Schuldbekenntnis. In seiner überlieferten Form bekannte man Gott die Sünden, dann Engeln und Heiligen, dann der Priester dem Volk, das Volk dem Priester; sodann wurde Fürbitte erbeten von Engeln und Heiligen, dann vom Volk, vom Priester – und dieses zunächst, dieser dann antwortete darauf laut. Nach der Reform jedoch werden die Sünden nur noch Gott und den Brüdern und Schwestern bekannt; die Engel und Heiligen aber, die hier übergangen wer den, werden dann nach wie vor um Fürbitte angegangen (und diese Fürbitte spricht dann nur noch der Priester). «Ut sana traditio retineatur et tamen via legitimae progressioni aperiatur, de singulis Liturgiae partibus recognoscendis accurata investigatio theologica, historica, pastoralis semper praecedat», hatte das II. Vaticanum angeordnet (Sacrosanctum concilium §23). Hätte die Kommission diese Vorschrift beachtet, aber dennoch durchaus die gute überlieferte Form beschneiden wollen, so hätte sie gesehen, daß in den ältesten Quellen es umgekehrt ist: man bekannte die Sünden auch den Engeln und Heiligen; doch um Fürbitte gebeten wurde nur der, der dann auch laut antwortet: nicht die Heiligen, nur das Volk vom Priester, dann der Priester vom Volk.
Zur Opferung wurden neue Gebete eingeführt, die sich an jüdische Segenssprüche anzulehnen suchten. Die jüdische Formel sagt: «der Du die Frucht des Weinstock schaffst; «.. de tua largitate accepimus vinum, ... , fructum vitis et operis manuum hominum» heißt es nun, in der sehr freien deutschen Übersetzung: «Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit». Natürlich wird die eigentliche Aussage, nämlich daß Gott es ist, der die Gaben schafft und schenkt, konterkariert durch «und der menschlichen Arbeit»; das aber ist nicht Schuld einer Kommission – Papst Paul, wird berichtet, wollte es so. «Den Wein, die Frucht des Weinstocks» ist ein Pleonasmus: nicht elegant, aber auch nicht schlimm.
Beim Brot aber heißt die jüdische Formel: «der Du Brot hervorbringst aus der Erde»; daraus wurde nun: «panem, ... , fructum terrae et operis manuum hominum – das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit». Eine Dummheit: «Frucht der Erde» ist im jüdischen Sprachgebrauch Kraut; zu Pesach wird beim Sedermahl ein Kraut gesegnet, Petersilie etwa: «der Du die Frucht der Erde schaffst» (der Unterschied zwischen ’eres und ’adama bleibt auch in jüdischen Übersetzungen unbeachtet).
Als Surrogat der «participatio» erscheinen in der Liturgie nun einige mehr oder weniger passende Floskeln für das Volk; so wurde aus der Jacobus-Liturgie «Deinen Tod, o Herr, verkünden wir ...» übernommen, das dort nach dem «Dies tut zu meinem Gedächtnis ...» folgt, mit welchem die Worte über den Kelch schließen.
Andererseits gab es lange schon ein Unbehagen gegen die Worte «mysterium fidei – Geheimnis des Glaubens» bei der Wandlung, Worte, die zeigen, daß es sich eben nicht um einen Abendmahlsbericht handelt, sondern um ein Gebet, in dem freilich vom Abendmahl die Rede ist. Dieses Unbehagen führte zu der Vorstellung, «mysterium fidei» sei ursprünglich ein eingeschobener Zuruf des Diakons ans Volk gewesen, eine Vorstellung, die Joseph Andreas Jungmann3 bereits widerlegt hatte. Dieser längst widerlegten Vorstellung zuliebe nahm man nun das «mysterium fidei» heraus aus den Worten über den Kelch, übertrug es dem Diakon und beachtete dabei nicht, daß man durch diese Reform den Sinn der anderen zerstörte: «Deinen Tod, o Herr» folgt nun nicht mehr auf «Tut dies zu meinem Gedächtnis», wozu es gehört, sondern ohne deutlichen Zusammenhang auf «Geheimnis des Glaubens».
In «Témoignages et souvenirs» hat Bernard Botte die Geschichte der Liturgischen Bewegung und auch die jener Kommissionen geschildert (Le mouvement liturgique. Paris 1973) – er selber gehörte der Kommission für die Weiheriten an. Bernard Botte hatte großes Verständnis für Liturgie, Sinn für die Tradition, tadelte die Abschaffung des Subdiakonats (p. 176-8); er wandte sich immer wieder entschieden gegen jedes Arbitraire, gegen Beliebigkeit oder Willkür. Doch in der Kommission versagt seine Urteilskraft – es ging um die Admonitionen (allocutions): «Warum hat dieser [Durand von Mende, der mutmaßliche Verfasser dieser Admonitionen] es vernachlässigt, eine für die Bischofsweihe zu machen? Man weiß darüber nichts» (p. 168). Und um das Scrutinium, die Glaubensprüfung und das Bekenntnis des Kandidaten bei der Bischofsweihe: «Es schien uns, daß solch ein Scrutinium auch nützlich sei für die Weihe des Priesters und des Diakons» (p. 170). Entgangen ist der Kommission ein einfacher Gedanke: die Weihegrade bis hinauf zum Priester sind dem Bischof untergeordnet, müssen belehrt werden; der Bischof ist in herausgehobener Weise eigenverantwortlich, er wird nicht mehr belehrt, stattdessen muß jedoch der Kandidat zuvor besonders seine Glaubenstreue zeigen und bekräftigen.

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3 Missarum sollemnia II. Wien 1962, S. 249: «.. ist leider nur Poesie, nicht Geschichte».

Orietur Occidens

E&E 17 S.39-42  2012
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Die neuere Geschichte der «actuosa participatio»

«Der Rhein fließt in den Tiber» – hat ein Deutscher den Ausdruck «actuosa participatio» formuliert?
Ein Prinzip der Liturgischen Bewegung war die Beteiligung des Volks an der Liturgie, die unter dieser Bezeichnung in die Konstitutionen des II. Vaticanum eingedrungen war.
Was ist daraus geworden?
In der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts hatte sich im Zug dieser Bewegung eine differenzierte Ordnung für die Beteiligung des Volkes ausgebreitet, die nach diesem Konzil weitergeführt worden war. Doch wurde demgegenüber seit der Neuordnung zu Beginn der siebziger Jahre die Beteiligung des Volkes wieder deutlich eingeschränkt: vieles, was gebräuchlich geworden war, wurde nicht einbezogen und fiel dann weg. Es entstand nun zwar einerseits ein sehr aktiver Paraklerus von beauftragten (nicht geweihten) Lektoren und sonstigen Laien de luxe vorn im Altarraum, andererseits aber für das Volk hinten im Kirchenschiff wurde die eigentliche «participatio» verringert; als deren Surrogat wurden nun für das Volk einige mehr oder weniger passende Floskeln in die Liturgie eingestreut.
Will man die Beteiligung des Volkes vor und nach der Neuordnung vergleichen, so kann man nur ganz partiell die liturgischen Bücher heranziehen: das tridentinische Missale gibt wenig Hinweise. Es war ein Buch für den Gebrauch des Priesters; die Rubricae generales Missalis (XVII, 2) ordnen immerhin an, daß die «circumstantes» in der Privatmesse außer beim Evangelium knien – wer damit gemeint ist, ist zwar nicht ganz eindeutig, doch wurde es schließlich auf alle Laien bezogen: eine Rubrik, die der «participatio» wenig förderlich war.
Partiell aber zeigt doch schon der Vergleich des tridentinischen Missales mit dem «Novus Ordo Missae die restriktive Entwicklung.
Im Rahmen der Gemeinschaftsmesse war es gebräuchlich geworden, die von den Ministranten gesprochenen Texte vom ganzen Volk sprechen zu lassen. Besonderes Gewicht wurde dabei auf das Schuldbekenntnis während des Stufengebets gelegt. Im Hochamt war das wegen des Introïtus-Gesangs unmöglich: laut Bernard Botte (Le mouvement liturgique, p. 104) ein bedeutsames Motiv für die Reform der Meßliturgie, das Bekenntnis auch hier für das Volk zu öffnen. Beim überlieferten Schuldbekenntnis sprach zuerst der Priester sein Bekenntnis, das Volk1 sprach für ihn die Vergebungsbitte; sodann sprach es sein eigenes Bekenntnis, nun der Priester die Vergebungsbitte für das Volk. Im Novus Ordo Missae aber wurde das Schuldbekenntnis des Priesters und die Bitte des Volks für ihn gestrichen: das Volk bekennt nur, allein der Priester spricht noch eine Vergebungsbitte.
In der überlieferten Liturgie der Osternacht, der Pfingstvigil und der Quatembersamstage (außer nach Pfingsten) sowie gelegentlich mittwochs in Fastenzeit und Quatember wurden nach jeder Lesung vor dem anschließenden Gebet alle aufgefordert, niederzuknien: «Flectamus genua». Das ist im Novus Ordo weggefallen.
Als die eine Ausnahme ließe sich der Friedensgruß anzuführen. Doch er erscheint eher als Einschub in die Liturgie denn als ihr zugehörig: sein Ritus bleibt so unbestimmt, daß er sich schnell zu einem ganz banal-alltäglichen Rundum-Hände-Schütteln entwickelte ohne erkennbare gottesdienstliche Dimension. Man vergleiche ihn mit dem Friedensgruß des Volkes in der armenischen und der syro-antiochenischen Kirche: dort kommt er vom Altar, vom Priester, es gibt ihn weiter, wer ihn zuvor empfangen hat, ohne zielloses Rundum: echte «participatio».
Diese restriktive Tendenz, im Novus Ordo nur in wenigen Punkten eindeutig, wurde aufgenommen, wurde weitergeführt.
Die Ordnung für die Beteiligung des Volkes, die sich in der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts ausgebreitet hatte, war in Deutschland, schwarz auf weiß (oder gern auch rot auf weiß) in den diözesanen Gebet- und Gesangbüchern sichtbar geworden, die seit den späten vierziger Jahren erschienen waren. Diese lassen sich mit dem «Gotteslob» vergleichen, das in den siebziger Jahren erschienen ist.
In ihm zeigt sich das geschwundene Interesse an «participatio» darin, daß, anders als in den früheren Gebetbüchern, in der Meßordnung keine Hinweise für die Körperhaltung der Laien mehr gegeben werden; nur im Credo fordert es noch beim «Et incarnatus est» zur Verbeugung auf – zuvor kniete man nieder, was nun nur noch an Weihnachten und Verkündigung des Herrn gilt (GL 356). Doch beim gesungenen lateinischen (GL 423) wie deutschen Credo (GL 449) fehlt der Hinweis; im übrigen ist diese Gelegenheit zur «actuosa participatio» weitestgehend hinfällig, weil beim Apostolischen Glaubensbekenntnis, das an Stelle des «Großen» gesprochen werden kann (GL 356), im GL (2, 5) – anders als im Deutschen Meßbuch! – keine solche Verbeugung erwähnt wird (und weil in der real existierenden Pfarrliturgie das Glaubensbekenntnis meist durch irgendwelche Lieder ersetzt wird). Das dreifache Kreuzzeichen vor dem Evangelium erwähnt das GL (355, 5) nur noch für Diakon oder Priester; freilich beteiligen sich hieran so wie zuvor auch heute noch oft die Laien.
Auch zur inneren Teilnahme trägt das GL wenig mehr bei: lateinische Meßgesänge gibt es noch (376-424); doch anders als zuvor sind ihnen keine deutschen Interlinear-Übersetzungen mehr beigegeben. Schwerlich wird jemand annehmen, daß seit den sechziger Jahren die Lateinkenntnisse des Volks so zugenommen hätten, daß solche Übersetzungen nicht mehr notwendig währen.
Die Zeichen der Zeit wurden erkannt (allerdings nicht so, wie das Evangelium es meint), in der real existierenden Liturgie ist noch vieles mehr an Beteiligung des Volkes weggefallen: man kniet hierzulande kaum noch zum Kommunionempfang, zum Segen, nicht immer mehr zur Wandlung; man steht oft zum Gabengebet nicht mehr auf, setzt sich zur Passion (setzt sich, nachdem man zum voraufgehenden Gesangsstück aufgestanden war). Man schlägt sich beim «Lamm Gottes», beim «Herr, ich bin nicht würdig» nicht mehr an die Brust, bedeckt nach dem Kommunionempfang nicht mehr mit den Händen die Augen – dies war ein ganz eigenständiger Ausdruck der Volksfrömmigkeit, ohne Vorbild im Ordo Missae. Die Kniebeugen, die, wenn man durch die Kirche ging, zeigten, daß man getragen war vom Bewußtsein, im Hause des Herrn zu sein, sind im Schwinden. In manchen Pfarrkirchen ging diese Tendenz zur Passivität der Gemeinde so sehr weiter, daß die Kniebänke beseitigt wurden.
Karl-Rahner: Volk Gottes. In: Sacramentum mundi, hg. von Karl Rahner, Adolf Darlap et al. Bd. 4. Freiburg 1969, Sp. 1196-1200
Karl-Rahner: Der mündige Christ. In: Karl Rahner: Schriften zur Theologie, Bd. 15. Zürich 1983, S. 119-132
Wieso dieser Abbau? Die Antwort geben Karl Rahner und Herbert Vorgrimler in ihrem «Kleinen Konzilskompendium» (Freiburg 1967). Karl Rahner pflegte eigentlich die Rede vom «Volk Gottes»; nun aber ist zu lesen (S. 40): «.. jene Schichten des viel zitierten und vielfach überschätzten „gläubigen Volkes“ [(die folgenden Relativsätze bieten Injurien gegen Gläubige unsrer Art)]. Es handelt sich um jene Schichten, denen die Heilssorge der Kirche zwar immer zu gelten hat, die aber keinesfalls zum Maßstab kirchlichen Selbstvollzugs gemacht werden dürfen ...». Er pflegte die Rede vom «mündigen Christen»; nun aber werden die, die sich der Bevormundung verweigerten, «diese Wortstarken und teilweise Einflußreichen, aber in der Humanität gescheiterten Randfiguren der Kirche» (ibid.) genannt.
Das Volk begann zu nerven, es wurde den für die Reform verantwortlichen Kleriker zuviel an «actuosa participatio»; so wurde die «participatio», in einschlägig veränderter Form, an eine auserlesene Schar von Laien de luxe delegiert, das gläubige Volk aber wurde zum Publikum.

1 So grundsätzlich im Stundengebet in Komplet und Prim; in der Messe die Ministranten, soweit nicht die Liturgische Bewegung eingegriffen hatte.

Orietur Occidens

E&E 19 S.14-44 2014 
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Liturgie im Sinne des II. Vatikanischen Konzils

An den Nonen des Juli erließ Papst Benedikt XVI. «motu proprio» sein Apostolisches Schreiben «Summorum Pontificum», in dem er beiden heute gebräuchlichen Formen des Römischen Ritus die Möglichkeit friedlicher Koexistenz eröffnete.
Aber nicht nur das: er wünschte in dem aus diesem Anlaß veröffentlichten Brief an die Bischöfe, daß «sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten».
Zwei «Ausdrücke der „Lex orandi“», zwei «Formen», zwei «Gebräuche» des Römischen Ritus: wie kam es dazu? Die Geschichte ist eigentlich wohlbekannt, oft erzählt, doch in der Darstellung auch oft so verzerrt, daß es sinnvoll ist, sie noch einmal kurz wiederzugeben.
Hierbei geht es um alle Bereiche des Römischen Ritus, doch im Mittelpunkt der Betrachtung steht der Ordo der Messe; darum wird im folgenden ganz überwiegend vom Meßritus die Rede sein, aber das Stundengebet und die Riten der Sakramente, die eine ähnliche Geschichte durchlitten haben, sind grundsätzlich ebenfalls gemeint.
Das II. Vaticanum hat seine Arbeit begonnen mit einer Konstitution über die heilige Liturgie, «Sacrosanctum Concilium», in Kraft gesetzt Ende 1963 von Paul VI., der damals seit einem halben Jahr Papst war. In dieser Konstitution hatte es eine Reform der lateinischen Liturgie angeordnet. Es machte sich daraufhin ein Consilium ans Werk. Im Jahre 1965 gab es ein neues Meßbuch heraus mit recht mäßigen Neuerungen. Damit war der «Anschluss an die Liturgie-Konstitution des Konzils» vollzogen, wie im Mai 1966 Amleto Giovanni Kardinal Cicognani im Vorwort zu der darauf fußenden Neuausgabe des Schott ausdrücklich schrieb (der Staatssekretär also, nicht der von den Reformern geringgeschätzte Präfekt der Ritenkongregation Gaetano Kardinal Cicognani). Doch damit beendete das Consilium seine Arbeit an der Liturgie der Messe nicht, es fuhr unter der Ägide von Kardinal Lercaro, unter der Leitung von Mons. Bugnini ungerührt fort, ungeachtet aller Widerstände. So wurde vom Consilium eine «Missa Normativa» erstellt, sie wurde 1967 einer Bischofssynode vorgeführt – welch ein Liturgieverständnis: eine Messe wurde vorgeführt! –, fand jedoch nicht die Zustimmung der Bischöfe. Dennoch wurde sie, wenig verändert, 1969 als «Novus Ordo Missae» veröffentlicht. Dagegen setzten die Kardinäle Ottaviani und Bacci ein «Breve esame critico» dieses Ordo; geändert wurde daraufhin auf Anordnung des Papstes das Vorwort, nichts aber am Ordo selbst. Noch im selben Jahr sollte dieser Ordo allgemeinverbindlich werden (sollte: es zog sich dann noch bis 1971 hin).
Um 1970 gibt es also im Rahmen des Römischen Ritus den überlieferten Ordo1, verbunden mit einer durch die Liturgische Bewegung bestimmten Praxis, sodann die Konstitution des II. Vaticanum, den Konzils-Ordo von 1965 und den Novus Ordo, der nun letzteren ersetzte.

Die Konzilskonstitution
  «Sacrosanctum Concilium»

Vieles, was in dieser Konstitution zu finden ist, ist begrüßenswert. Allerdings ist auch vieles sehr wolkig formuliert, kaum sicher zu deuten, und es gibt einige Reibungen innerhalb der Konstitution. Doch falscher Anwendung hat die Konstitution selber einen Riegel vorgesetzt durch sinnvolle Grundregeln. Deren präziseste bietet Artikel 23: «Damit die gesunde Tradition bewahrt bleibe ..., gehe bei der Überprüfung der einzelnen Teile der Liturgie eine genaue theologische, historische und pastorale Untersuchung immer voran. ... Neuerungen schließlich dürfen nicht geschehen, wenn nicht ein wahrer und sicherer Nutzen für die Kirche das fordert, und unter Beachtung der Vorsichtsregel, daß neue Formen aus schon bestehenden Formen gewissermaßen organisch wachsen.»2
So sind im Sinne der guten Grundsätze die einzelnen Anordnungen der Konstitution zu betrachten.
«Actuosa participatio» der Gläubigen ist die Forderung, die die Konstitution durchzieht: «tätige Teilnahme» übersetzt man üblicherweise, aber – es heißt ja «actuosa», nicht etwa «activa participatio» – dem philosophischen Begriff «actus» entspräche die Übersetzung «wirkliche Teilnahme» noch mehr.
Man kann äußere, praktische, tätige und innere, geistliche Teilnahme unterscheiden, doch nicht so, daß sie voneinander getrennt wären: die geistliche stützt sich auf die praktische, tätige Teilnahme.
Die praktische Teilnahme besteht in Gesten und Worten, freilich nicht in der Weise, daß sie sich im aktiven Vollzug erschöpfte: so kann das Hören der Worte in anspruchsvollerer musikalischer Form mehr Teilnahme bedeuten als sie laut mitzusprechen oder mit einer banalen Melodie mitzusingen – wer an einem Gottesdienst im byzantinischen Ritus teilnimmt, erlebt immer wieder, wie die Worte des Chors zu eigenem Gebet werden, ohne daß man laut mitsänge.
Der Gottesdienst ist nicht isoliert vom übrigen Leben; darum ist die Teilnahme nicht auf den Kirchenraum beschränkt: dazu gehört die praktische und geistliche Einstimmung, etwa durch Fastenregeln.
Daß die Konstitution wirkliche Teilnahme im vollen Sinne will, praktisch und geistlich, zeigt sie, indem sie sie näher umschreibt als «wissende» (11.), «bewußte» (14, 48), «fruchtbare» (11) und «fromme» (48, 50) Teilnahme.
«Die Riten mögen von edler Einfalt strahlen» (34) – offenbar ist bei (sicherlich deutschsprachigen) Konzilsvätern der innere Winckelmann (Johann Joachim W.: «edle Einfalt und stille Größe)» in Gang gekommen. Wenn die Konstitution dann fortfährt: «sie [die Riten] seien in ihrer Kürze durchschaubar ..., sie seien der Faßkraft der Gläubigen angepaßt» (diese Faßkraft der Gläubigen wird offenbar eher gering eingeschätzt), wenn «sehr viel ... daran liegt, daß die Gläubigen die Zeichen der Sakramente leicht verstehen» (59), so drohte das, rigoros befolgt, den Weg zu Anspruchslosigkeit zu bahnen. Anspruchslosigkeit aber erzeugt letztlich Überdruß: was leicht zu verstehen ist, ist auch leicht erledigt und dann abgetan – innerer, «fruchtbarer» (11) und «frommer» (48, 50) Teilnahme steht das entgegen. Günther Eich sagte: «Was ich verstehe, interessiert mich nicht.»
Wenn die Konstitution nun fortfährt: «sie [die Riten] ... mögen unnütze Wiederholungen vermeiden», ist dabei an den „Ordo ad visitandas Parochias“ (Pont. Rom., pars tertia) gedacht, der tatsächlich ein Übermaß an Wiederholungen enthält? Anderswo sind nicht viele «unnütze Wiederholungen» zu erkennen. Doch an einer anderen Stelle (50) heißt es einfach: «das werde weggelassen, was im Lauf der Zeiten verdoppelt worden war»; das mag dazu verleiten, auch den Artikel 34 so zu verstehen, als sei er einfach allgemein gegen Wiederholungen gerichtet. Wenn der Artikel dann aber fortfährt: «sie seien der Faßkraft der Gläubigen angepaßt», so ergibt sich damit ein Gegensatz: um sie der Faßkraft der Gläubigen anzupassen, bedarf es – ein elementares didaktisches Prinzip – der Redundanz, der Wiederholung.
In Artikel 35. 3) heißt es: «in den Riten selbst seien, wenn sie nötig sind, kurze Anmahnungen vorgesehen, die vom Priester oder zuständigen Minister [Kleriker, Ministranten], nur in geeigneteren Momenten, in vorgeschriebenen oder ähnlichen Worten zu sagen sind». Wozu eigentlich, wo doch «die Texte und Riten» selber «das Heilige, das sie bedeuten, klarer ausdrücken mögen» (21)? Dennoch – «kurze Anmahnungen», «nur in geeigneteren Momenten», «in vorgeschriebenen ... Worten»: wer heutzutage Priester bei einer Taufe von «ausdeutenden Zeichen» hat reden hören, wird für diese Beschränkungen dankbar sein. Aber hier ist doch mit «oder ähnlichen Worten» dem Mißbrauch die Tür geöffnet. Wiederum steht solchem Mißbrauch nun eine sinnvolle Grundregel entgegen, die gleich am Anfang der Konstitution steht: «daß in ihr [der Liturgie] das, was menschlich ist, aufs Göttliche hingeordnet und ihm untergeordnet werde» (2). Eigentlich ist damit ausdeutenden Priestern ein Riegel vorgeschoben; allerdings: die Reibung zwischen den beiden Artikeln besteht.
«Rücksicht ist zu nehmen auf die Bedingungen des heutigen Lebens» (Sacr. Conc. 88): es ist sinnvoll, Priestern, die nicht am Chorgebet teilhaben können, die Last des Breviergebets zu erleichtern, denn für sich allein zu sprechendes Gebet ist etwas anderes als der gemeinsame Gesang der kanonischen Stunden. Und ganz im Sinne guter Liturgie ist es, daß «beim Absolvieren der Gebetsstunden die Zeit gewahrt werde, die der wahren Zeit einer jeden kanonischen Gebetsstunde am nächsten kommt» (94).
Doch wenn dann einfach erklärt wird: «Die Gebetsstunde Prim werde unterdrückt» (89.d) ), so kann damit nur das Breviergebet gemeint sein; da aber, wo die Prim zum Chorgebet gehört, gilt die von Kardinal Ratzinger bekräftigte «Feststellung von Kardinal Newman ..., daß die Kirche nie in ihrer Geschichte rechtgläubige Formen von Liturgie einfach abgeschafft oder verboten hat – das wäre dem Geist der Kirche durchaus fremd»3.
Es waren die heilsamen Anordnungen des Artikels 23 der Konzilskonstitution, die Emil Joseph Lengeling störte: «Man mag besonders die mittlere Klausel („sicherer Nutzen“) bedauern, aber sie war erforderlich, um die anfänglich starke Opposition vieler Konzilsväter zu gewinnen.»4 «.. gehe ... eine genaue ... historische ... Untersuchung immer voran», «.. unter Beachtung der Vorsichtsregel, daß neue Formen aus schon bestehenden Formen gewissermaßen organisch wachsen» (23) – E.J. Lengeling, der sich zur katholischen Glaubenslehre in offenem Gegensatz befand («Sackgassen nachtridentinischer Opfertheorien»5), verfolgte eine Linie, die zur Konzilskonstitution mit diesen Forderungen im Widerspruch stand: «.. indem das vorher Verbotene zunächst gestattet, dann vorgeschrieben wurde.»6. Daß dieser E.J. Lengeling dann im «Consilium ad exsequendam Constitutionem de sacra liturgia» mitwirken sollte, weist darauf hin, daß es diesem Consilium nicht darum ging, «die Konstitution über die heilige Liturgie auszuführen».

Der Ordo von 1965

Mit dem Ordo von 1965 war laut Kardinal Cicognani der «Anschluss an die Liturgie-Konstitution des Konzils» vollzogen7. War er das wirklich?
«Zur Förderung der tätigen/wirklichen Teilnahme sollen Handlungen oder Tun und die Körperhaltungen des Volkes gefördert werden» (Sacr. Conc. 30), «bei der Überprüfung der liturgischen Bücher werde eifrig darauf geachtet, daß die Rubriken auch die Teile der Gläubigen vorsehen» (31).
Die alten liturgischen Bücher stellen im wesentlichen eine Anweisung für den Zelebranten dar und nebenbei für den übrigen Altardienst. Für das Volk gab es eine inoffizielle Tradition liturgischer Gesten, die in der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts durch die Liturgische Bewegung intensiviert wurde. Die seit Ende der vierziger Jahre herausgegebenen Gebet- und Gesangbücher der deutschen Diözesen enthielten in der „Ordnung der Heiligen Messe“ Anweisungen für die Körperhaltung des Volkes nach dem Vorbild des Altardienstes, die sich mit jener inoffiziellen Tradition zu einer intensiven Teilnahme verbanden. Diese Anweisungen und wohl auch Hinweise aus dieser Tradition sollten nun also in die offiziellen liturgischen Bücher aufgenommen werden.
Was aber 1965 geschah, war etwas ganz anderes: entsprechende Riten wurden stattdessen ganz abgeschafft. Die Kniebeuge beim «Et incarnatus est» im Credo fiel weg, wurde durch eine einfache Verneigung ersetzt, ebenso fielen die Kreuzzeichen am Ende des Gloria, des Credo, beim Benedictus weg. Jene Kniebeuge war in den diözesanen Büchern damals bereits für das Volk angeordnet, den Kreuzzeichen, bei denen der Altardienst dem Beispiel des Priesters zu folgen hatte, hatten sich Laien ebenfalls angeschlossen. Nun aber schwand diese Gelegenheit für tätige Teilnahme des Volkes.
Die schwerstwiegende Reduzierung der tätigen Teilnahme aber fand sich im „Ritus der Kommunion unter beiden Gestalten“ (Nr. 4-8), wo nun erlaubt wurde, die Kommunion stehend zu empfangen.
Das wurde verschärft durch eine bereits ein Jahr zuvor erlassene Anordnung des Papstes „über eine neue Regelung der Eucharistischen Nüchternheit“.

Exkurs: Die Kommunion – Eucharistische Nüchternheit

Seit ältester Zeit hatte, so wie heute noch in den Ostkirchen, die Regel gegolten, daß man von Mitternacht an vor der Kommunion nichts essen und nichts trinken darf. Besondere Regelungen gab es für die seltenen Messen am Abend und in der Nacht; im lateinischen Westen betraf das nur die Mitternachtsmesse an Weihnachten: dort galt die inoffizielle Norm, daß man drei oder vier Stunden zuvor nichts essen und nichts trinken sollte (im byzantinischen Ritus enthält man sich vor Abendmessen von Mittag an des Essens und Trinkens und natürlich, falls man Raucher ist, des Rauchens).
In der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts erschien es aus verschiedenen Anlässen notwendig, Abendmessen zu ermöglichen. Papst Pius XII. erließ schließlich 1953 die Apostolische Konstitution „Christus Dominus“, mit der er Abendmessen an Sonn- und Festtagen und an einigen anderen Tagen zuließ und dafür die Eucharistische Nüchternheit auf drei Stunden für feste Speisen, auf eine Stunde für nichtalkoholische Getränke beschränkte und den allgemeinen Grundsatz erließ, daß natürliches Wasser das Fasten nicht bricht. Durch das Motu proprio „Sacram communionem“ von 1957 weitete er diese Zugeständnisse auf alle Messen aus.
Doch, das sollten «alle vor Augen haben», schrieb Papst Pius in „Christus Dominus“, daß er «die höchste Kraft dieses Gesetzes», der Eucharistischen Nüchternheit von Mitternacht an, «bekräftigen» wolle und «auch die ermahnen, die ebendieses Gesetz befolgen können, daß sie fortfahren, das sorgsam zu tun, so jedenfalls, daß nur die, die sich in einer Notlage befinden, diese Zugeständnisse genießen können je nach der Art ebendieser Notlage.»
Hiermit hatte der Papst ein Zugeständnis an die Bedürfnisse des Alltags gemacht, das die Ehrfurcht vor dem Sakrament noch wahrte – niemand sollte unüberlegt selbstverständlich diese Erleichterungen in Anspruch nehmen, und ein bürgerliches Frühstück vor der Messe am Vormittag kam kaum in Betracht. Doch nur wenige Jahre später ging Paul VI. viel weiter: mit der Anordnung vom 21. November 1964 „über eine neue Regelung der Eucharistischen Nüchternheit“ setzte er auch die Zeit der erforderlichen Nüchternheit für Speisen und alkoholische Getränke auf eine Stunde herab – nunmehr (eine Stunde vor der Kommunion: das ist die Zeit, da man sich zumindest bereits für den Weg zur Kirche fertig macht) spielte die Eucharistische Nüchternheit keine wirkliche Rolle mehr, einer der wichtigsten Ausdrücke der Ehrfurcht vor dem Sakrament war weggefallen. Bemerkenswert ist die beiläufige Form, in der Paul VI. diesen Bruch mit der Überlieferung der ganzen Kirche vollzog: während Papst Pius eine Apostolische Konstitution erlassen hatte und für ergänzende Erleichterungen ein Motu proprio, genügte Paul VI. eine mündliche Mitteilung, die als Aktennotiz des Generalsekretärs des Konzils öffentlich gemacht wurde. Während Pius XII. das alte Gesetz ausdrücklich im Grundsatz unangetastet ließ und nur für die Notwendigkeiten der Zeit jene Zugeständnisse gewährte, suchte 1965 die Konzilskongregation durch eine neuerliche Aktennotiz «mit der erhabenen Approbation des Heiligen Vaters» die Spuren dieses Gesetzes zu verwischen, indem sie die Definition der Eucharistischen Nüchternheit im Katechismus Pius X. umschreiben ließ auf Enthaltung von Speise und Trank für eine Stunde vor der Kommunion.
Dazu, daß die «Christgläubigen ... an der heiligen Handlung bewußt, fromm und tätig/wirklich teilnehmen, ... sich selbst darzubringen lernen» (Sacr. Conc. 48), gehört nicht nur die Beteiligung an den Riten im Kirchenraum, sondern auch die Vorbereitung darauf daheim durch Fasten und Enthaltsamkeit. So stellt die Einschränkung der Eucharistischen Nüchternheit durch Paul VI., die in der Sache einer Abschaffung gleichkommt, einen massiven Abbau der tätigen Teilnahme dar, der dann durch den Kommunionempfang im Stehen, der mit dem Ordo von 1965 ermöglicht wurde, noch weitergetrieben wurde.
Siehe auch unten!
«Die zwei Teile, aus denen die Messe in gewisser Weise besteht, die Liturgie nämlich des Wortes und die eucharistische, werden so innig untereinander verbunden, daß sie eine Kulthandlung ergeben mögen» (Sacr. Conc. 56): mit dieser Anordnung stellte sich das Konzil einer unter den damaligen Theologen verbreiteten Neigung entgegen, Wort- und Opfergottesdienst voneinander zu trennen. Der Ordo von 1965 entschied sich für diese Theologen, gegen das Konzil: Nach Altarkuß und Inzensation zelebriert der Priester bis zur Opferung von seinem Sitz aus (so wie der Bischof von seinem Thron).
Seit alters her kann der Priester bei den Lesungen und Zwischengesängen auf seinem Sedile sitzen; der tridentinische Ordo erlaubt ihm das zudem (wünscht es nicht), während der Chor Kyrie, Gloria, Credo singt. Doch am Sedile das Tagesgebet zu beten, dort Gloria und Credo anzustimmen war immer Vorrecht des Bischofs.
«Auch das heilige Schweigen werde zu seiner Zeit bewahrt» (Sacr. Conc. 30): das war der Wille des Konzils. Doch der Ordo von 1965 läßt die Sekret singen, in stillen Messen sprechen, ebenso die Doxologie am Ende des Kanons und den Embolismus.
Einzelne Aufweichungen des Schweigens wären ja noch kein deutlicher Verstoß gegen den Willen des Konzils. Doch häufen sich hier die Einbrüche. Gerade das stille Gebet der Sekret ist von der Dramaturgie der Messe her gewichtig: nach dem Gesang des Offertorium und dem gesprochenen Orate fratres tritt Schweigen ein, aus dem dann anhebend mit der Ekphonese der Sektret der festliche Gesang der Präfation einsetzt.
Die damalige Theologie rechnete (wohl aus ideologischen Gründen) mit einem früheren lauten Vortrag der Sekret bis ins frühe Mittelalter hinein. Eine wirkliche Begründung gab es nicht; Josef Andreas Jungmann sieht sich zu einer ausgesprochenen Nicht-Begründung veranlaßt: «wie es sich von selbst versteht» (Bossuets Gedanken «secreta = oratio ad secretionem, d. i. zur Aussonderung der Opfergaben» nennt er selber «ohne einen geschichtlichen Beleg»)8.
Die Konzilskonstitution wollte, daß «der Gebrauch der lateinischen Sprache ... in den lateinischen Riten bewahrt werde» (36. § 1), der Volksprache aber «weiterer Platz zugeteilt zu werden vermag, besonders aber in den Lesungen und Ermahnungen, in einigen Gebeten und Gesängen, nach Normen die darüber in den folgenden Kapiteln einzeln festgesetzt werden» (§ 2). Im einzelnen genannt werden dann noch die Fürbitten (54), bei den Weihen die Ansprachen an die Weihekandidaten (76), bei der Eheschließung das Gebet für die Braut (78), das Stundengebet, wenn es mit der Gemeinde verrichtet wird (101. § 3) ) und in einigen weiteren Fällen (§ 1), § 2) ).
Der Ordo von 1965 aber erlaubt, das gesamte Ordinarium und Proprium in der Volkssprache zu singen oder zu beten. Abgesehen davon, daß es damit der Konzilskonstitution widerspricht, nahm dadurch eine andere Forderung der Konstitution Schaden: daß der gregorianische Gesang in den liturgischen Handlungen die erste Stelle einnehme (116) – volkssprachige Fassungen der gregorianischen Gesänge waren, wenn überhaupt, jedenfalls nicht auf die Schnelle zu beschaffen. Bis heute zeigen sie sich nicht; die Folge: die Gregorianik ist großflächig ausgestorben.
Kleine liturgische Gesten wurden in großer Zahl stark reduziert oder ganz abgeschafft, von den Inzensationen über die Schellenzeichen bis zum Emporheben des Saumes des Meßgewandes bei der Wandlung. Diese kleinen Zeichen waren es, die in ihrer Fülle eine Ausdrucksstärke hervorbrachten, die dazu beiträgt, daß in der Liturgie «das, was menschlich ist, aufs Göttliche hingeordnet und ihm untergeordnet werde» (Sacr. conc. 2), und die damit die wirkliche und bewußte Teilnahme begünstigt. Wo immer es in der Konzilskonstitution jene Reibung gibt zwischen dem Wunsch nach «edler Einfalt» der Riten auf der einen Seite und auf der anderen nach Ausdrucksstärke, da hat sich der Ordo von 1965 für das neuhumanistische Anliegen entschieden. Dabei waren die Texte weniger betroffen; die Vereinfachung richtete sich gegen die körperlichen Ausdrucksformen. Damit setzte eine Tendenz zur Entsinnlichung der Liturgie ein, die innerer, «bewußter, frommer Teilnahme» (Sacr. conc. 48) nicht zuträglich war.

Der Novus Ordo Missae

Dieser Ordo wird häufig als die vom II. Vatikanischen Konzils angeordnete Liturgie bezeichnet. Doch in Wirklichkeit entfernt er sich noch weiter von den Anordnungen dieses Konzils als der Ordo von 1965.
Die tätige Teilnahme des Volks wurde durch ihn weiter abgebaut: in der Osternacht kniet man nach den einzelnen Lesungen nicht mehr zu den Orationen nieder. Der Aufforderung der Konzilskonstitution, «bei der Überprüfung der liturgischen Bücher eifrig» darauf zu achten, «daß die Rubriken auch die Teile der Gläubigen vorsehen» (31), wurde nur oberflächlich befolgt, indem in der Institutio Generalis des Missale9 (43) das Stehen, Sitzen und Knien geregelt ist. Doch das Knien bei der ganzen Wandlung (und nicht nur zu den Wandlungsworten) ist nur «lobenswerterweise beizubehalten», «wo der Brauch besteht». Im Ordo Missae selbst ist noch die Verbeugung beim «Et incarnatus est» angeordnet. Sie (die die frühere Kniebeuge ersetzt) ist das einzige, was in Schott und „Gotteslob“ eingedrungen ist. Zum Schlußsegen ist keinerlei Geste erwähnt, weder Niederknien noch eine Verneigung noch auch nur das Kreuzzeichen des Volks (außer daß für besondere Fälle, das „Gebet über das Volk“ oder eine feierliche Segensformel, der Ruf des Diakons zitiert wird: «Verneigt euch zum Segen»/185). Der Begriff des Segens (nicht das Wort, das kommt vom lateinischen «signare») kommt vom hebräischen b-r-ch; dieses Wort, in zwei Richtungen gebraucht (ähnlich wie das lateinische Wort «pius»), bedeutet «segnen» und «huldigen», doch als Grundbedeutung erscheint «knien». Bis dahin war es in der ganzen Kirche gebräuchlich, daß man sich zum Segen verneigte oder aber – im Westen – niederkniete. Das Kreuzzeichen des Volks hat sich dennoch erhalten; viele andere Gesten des Volkes, die in der Mitte des XX. Jahrhunderts gebräuchlich waren, sind untergegangen10.
Aufstehen läßt Institutio Generalis das Volk nach den Lesungen schon zum Halleluja, nicht wie zuvor erst zum Evangelium. Üblicherweise steht man dementsprechend in der Fastenzeit auch zum Zweiten Zwischengesang auf. Das hat häufig die sonderbare Folge, daß man sich am Palmsonntag und Karfreitag zur Passion setzt (die lange Passion hindurch zu stehen mag man der Gemeinde nicht zumuten).
Eigentlich wäre der Friedensgruß, der jahrhundertelang im Westen dem Klerus vorbehalten war, eine Gelegenheit für tätige Beteiligung des Volkes. Der Ritus war: der Friede geht vom Herrn aus, daher küßt der Priester zuerst den Altar; dann wird der Friedenskuß weitergegeben: der Priester gibt ihn dem Diakon, dann empfangen ihn die übrigen Kleriker oder Ministranten. In der armenischen und der syrisch-antiochenischen Kirche ist es ganz ähnlich, hier aber wird der Friede von den Ministranten dann auch den Laien gegeben, die geben ihn ihrerseits weiter, bis ein jeder ihn empfangen hat. Ein jeder empfängt ihn selbstverständlich einmal – ein doppelter Empfang wäre sinnlos. Bei den Armeniern ist es ein Friedenskuß wie im überlieferten römischen Ritus, die Syrer legen statt dessen die Hände ineinander.
Nach dem Novus Ordo aber geht der Friedensgruß nicht mehr vom Altar aus, sondern beginnt erst beim Priester; der gibt ihn Konzelebranten, dem Diakon und Ministranten weiter, während die Gemeinde sich in der Regel nur untereinander den Frieden gibt (nur «aus einem vernünftigen Grund» kann der Priester «einigen wenigen Gläubigen den Friedensgruß geben» [Institutio Generalis des Missale 154], der Diakon kann nicht einmal das [181]). Dabei kommt es typischerweise zu einem unliturgischen Händeschütteln, einem regellosen Hin und Her. Das führte schließlich dazu, daß Papst Benedikt daran dachte, den Friedensgruß von seiner im römischen Ritus seit alters überlieferten Stelle zu entfernen, an eine andere Stelle – die Opferung – zu versetzen, wo er etwas weniger störte, daß unter Franziskus I. die Gottesdienstkongregation weniger familiäre und profane Gesten, weniger Durcheinander einfordern mußte.
Doch das hauptsächliche Surrogat für eine wirkliche Beteiligung des Volkes ist, was schon mit der Liturgischen Bewegung begonnen hatte: das Volk über nimmt Texte der Ministranten.
Das lädt zu einer längeren Erklärung ein.

Hochamt und Ministrantenliturgie

In den Ostkirchen ist die einzige normale Form der Messe die gesungene Liturgie, das, was wir Hochamt nennen; und selbstverständlich ist, wenn möglich, zumindest ein Diakon dabei. Das Hochamt war auch im Westen die Form der täglichen Meßfeier der Kapitel und Klöster, hier stets als Levitenamt, mit Diakon also und mit Subdiakon, zudem die der sonn- und feiertäglichen Meßfeier der Pfarrkirchen.
In alter Zeit lag die Feier mit Leviten nahe: seit dem IV. Jahrhundert bis ins hohe Mittelalter war das Mindestalter für die Diakonenweihe 25 Jahre, das für die Priesterweihe 30 Jahre; dadurch ergaben sich lange Zeiten, in denen der künftige Priester den Diakonat und zuvor den Subdiakonat innehatte: so waren Diakone und Subdiakone stets zahlreich. Im späteren Mittelalter wurden die Altersgrenzen gesenkt, die Intervalle zwischen den einzelnen Weihen wurden kurz: so wurden Diakone und Subdiakone viel seltener. Deren Funktion im Levitenamt mußten fortan zumeist Priester übernehmen, eher lustlos, weil sie vor allem ihre eigene Messe zelebrieren wollten.
Doch viel häufiger als das Hochamt wurde im Westen die „Missa lecta“ gefeiert, die stille, die Privatmesse. Im tridentinischen Missale erscheint die Missa lecta bereits als der Normalfall, die Rubriken für das Levitenamt erscheinen als Zugabe. Dementsprechend entwickelte sich, was im anglophonen Raum «low mass mentality» genannt wird; diese Mentalität prägte weitgehend das Liturgieverständnis der Zeit vor der Liturgischen Bewegung, aber auch weite Teile dieser Bewegung selbst.
Im Mittelalter begann man mehr und mehr den Zelebranten bei jedweder Handlung etwas sprechen zu lassen, beim Waschen der Hände, bei der Inzensation. Meistens sind das schöne Sprüche, oft Psalmverse; allerdings erscheinen sie als weniger in den Organismus der Liturgie integriert als die Texte des Ordinarium und Proprium der Messe oder auch als die Texte des Stufengebets und des „kleinen Kanons“ der Opferung. Dennoch: leise gesprochen an ihrem Platz paßten sie. Freilich drohte so der Wert von Segens- und Gebetsgesten ohne Worte übergangen zu werden; doch auch sie gingen nicht ganz verloren: das vornehmste Beispiel ist die Handauflegung bei der Priesterweihe, da ist das Kreuzzeichen über den Weihrauch, da ist die Inzensation des Altars nach dem Einzug.
Ähnlich begann man dem Ministranten, sei es dem Diakon, sei es einem „Chierichetto“, Sprüche zuzuordnen, bei einer eigenen Handlung leise zu sprechen oder als Antwort auf Worte des Priesters. Auch dies sind meistens schöne Sprüche, das bedeutendste Beispiel das Suscipiat als Antwort auf das Orate fratres des Priesters. Doch auch sie gehören weniger zum eigentlichen Organismus der Messe als deren wesentliche Teile.
In der Liturgischen Bewegung begann man, dem Volk die bisherigen Texte der Ministranten zu übertragen; der Novus Ordo Missae setzte das fort. Was in der Missa lecta unschädlich war, beeinträchtigte aber das Hochamt, das eine in sich geschlossene Form der Worte und Gesänge hatte – ebenso, wie sie bis heute an den Ostkirchen bewundert wird. Das gesprochene Orate fratres des Priesters leitete das Schweigen ein, aus dem der Gesang der Präfation hervorgeht; ein so schöner Text das Suscipiat auch ist: laut gesprochen stört er hier.
Laut gesprochen wird bei den Lesungen die Zahl unterschiedlicher Antworten verwirrend: nach den ersten Lesungen «Dank sei G.», vor dem Evangelium «Ehre sei Dir», nach dem Evangelium «Lob sei Dir». Im byzantinischen Ritus wird das «Ehre sei Dir» nach dem Evangelium wiederholt; das wirkt wesentlich konsistenter.
Neue vergleichbare Antworten des Volks kamen dazu. Bemerkenswert ist nach der Wandlung «Deinen Tod», das der Jakobus-Liturgie entstammt: es trennt das Gebet des Volkes von dem des Priesters: der Priester betet zu Gott, dem Vater, das Volk zu Christus11.
Das Schuldbekenntnis von Priester und Ministranten und die gegenseitige Fürbitte gehören im überlieferten Ritus zur Vorbereitung darauf, zum Altar hinaufzusteigen; ein Schuldbekenntnis des Volks war in späterer Zeit vor der Kommunion hinzugekommen. Im Laufe der Liturgischen Bewegung hatte sich das Volk dem Schuldbekenntnis der Ministranten angeschlossen. Mit dem Novus Ordo aber fiel das eigenen Schuldbekenntnis des Priesters und damit auch die Fürbitte des Volks für ihn weg. Hier hat der neue Ordo also auch bei den Texten eine – freilich ephemere – Beteiligung des Volks wieder beseitigt.
Dem Zugewinn an Worten, die dem Volk in den Mund gelegt werden, an einigen Stellen steht aber an anderen ein Abbau gegenüber, etwa die Streichung des Dominus vobiscum mit der Antwort des Volks vor Tages- und Schlußgebet12, die Schrumpfung des umfangreichsten dialogischen Gebetes der Kirche, der Allerheiligenlitanei, wie sie zur Taufe und bei Weihen begegnet, auf einen schmalen Restbestand. Insgesamt also ist die tätige Teilnahme weiter verringert worden. Die innere, geistliche Teilnahme aber stößt auf noch andere Beeinträchtigungen.
Nach Kommunion und Schlußgebet, wenn alle Gläubigen noch im Bann des gerade Erlebten stehen, folgen «kurze Mitteilungen, falls sie notwendig sind» (90, 166, 184), als wäre die Kommunion ein Programmpunkt, nach dem der nächste folgen könnte – ein grober Abbruch aller inneren Teilnahme.
Die sinnlich wahrnehmbare Seite der Liturgie ist wesentlich vermindert. Die Beispiele sind zahlreich; hier sei nur kursorisch darauf eingegangen:
Die vollentfaltete Form der römischen Messe, das Levitenamt, fiel weg, dadurch, daß der Subdiakon entfernt wurde – einige Zeit schon, bevor 1973 durch das Motu Proprio «Ministeria quaedam» zusammen mit dem niederen Weihen auch dessen Weihegrad abgeschafft wurde. Der Subdiakonat ist ein Amt, das die ganze Kirche kennt; und den theologischen und pastoralen Sinn der Mehrzahl niederer und höherer Weihegrade hat das Konzil von Trient (Sessio XXIII: Doctrina de sacramento Ordinis, Cap. 2.; Can. 2) verbindlich festgestellt: eine «genaue theologische, historische und pastorale Untersuchung» (Sacr. conc. 23) ist beim Motu Proprio von 1973 offensichtlich nicht vorangegangen.
Die Rolle des Gesangs wurde marginalisiert: ob die liturgischen Texte gesungen werden, ist weitestgehend – «low mass mentality» – der Beliebigkeit überlassen; daß etwa die Lesungen gesungen werden – was die Kirche einst von der Synagoge übernommen hat, im Hochamt der überlieferten Form ebenso selbstverständlich ist wie im byzantinischen Ritus und (zumindest fürs Evangelium) in den anderen Riten des Ostens –, ist zur Ausnahme geworden, beim Evangelium mit den Vorgaben des „Gotteslobs“ kaum möglich13.
In jeder einzelnen Meßfeier beginnt der Abbau der Wahrnehmbarkeit mit dem Wegfall des Stufengebets: die Ehrfurcht des Priesters vor dem Altar des Herrn wird kaum mehr sichtbar.
Oft liegt das Problem nicht bei unguten Regelungen, sondern daran, daß etwas nicht mehr geregelt ist und unangemessenen Formen der Weg offensteht. Wie hält der Priester bei der Elevation die Hostie hoch: mit einer Hand, mit beiden? oder gar mit der Patene in der einen Hand? all das ist heute zu sehen. Einmal hörte ich einen afrikanischen Vater seinem Sohn erklären: Wenn du Gästen etwas bringst, immer es mit beiden Händen halten, auch wenn es leicht ist, aus Achtung vor den Gästen!
Der Kelch erhoben, die Hostie über dem Kelch, etwas in ihn eingesenkt: dieser Ritus am Ende der Wandlung, diese „Kleine Elevation“ ist ein Symbol der Einheit von Leib und Blut des Herrn, war im Laufe der Liturgischen Bewegung geradezu zum Symbol der Eucharistie geworden. Heute hat der Priester am Schluß des Kanons zur Kleinen Elevation die Patene (oder die Hostienschale) mit der Hostie zu erheben und dazu den Kelch (wenn den nicht der Diakon hält; Inst. gen. 151, 180) – jenes Symbol ist nicht mehr sichtbar.
Viel weitergehend noch als 1965 wurden liturgische Gesten reduziert oder ganz abgeschafft, jene Gesten und Haltungen, durch die alle, die am Altar dienten, sichtbar dem Herrn zugewandt waren, jede ihrer Bewegungen auf ihn hingeordnet war, wie das Konzil es befohlen hatte (Sacr. conc. 2). So wurde die Ausdrucksstärke weiter vermindert, die Entsinnlichung vorangetrieben. Anstelle des unmittelbaren Ausdrucks der liturgischen Gesten können nun bei mehreren Gelegenheiten Worte treten (Inst. gen. 31), sogar vor der Präfation kann der Priester «mit ganz kurzen Worten ... in das Eucharistische Hochgebet» einführen». Auch die Institutio generalis, deren eigentliche Aufgabe ja ist den Ritus der Messe zu beschreiben, gibt theologischen und moralischen Erklärungen bemerkenswert viel Raum, als traue sie nicht der Aussagekraft des Ritus selbst. Doch: «Nach dem seligen Gregor belehren Taten mehr denn Worte und bewegen Beispiele mehr als Predigten»14; wenn, statt sich zum Herrn zu wenden, erst einmal über ihn geredet wird, so ist das kein Ersatz für die Ausdruckskraft der Riten. Das fördert nicht, sondern stört die innere, «bewußte, fromme Teilnahme» (Sacr. conc. 48), widerspricht der Forderung, daß in der Liturgie «das, was menschlich ist, aufs Göttliche hingeordnet und ihm untergeordnet werde» (Sacr. conc. 2).
«Das heilige Schweigen» wollte die Konzilskonstitution «zu seiner Zeit bewahrt» wissen (30). Einbußen erlitten hatte es ja schon mit dem Ordo von 1965; nun wurde es auch von seinem wichtigsten Ort verbannt: der Wandlung. Die Institutio generalis verlangt, daß alle das Hochgebet «ehrfürchtig und schweigend anhören» (78). «Anhören»: das heißt: es wird laut gebetet, geschwiegen wird also eben nicht.
Das ist nicht nur ein Verstoß gegen den Willen des Konzils, sondern bereitet auch praktische Schwierigkeiten: das Hochgebet ist der bedeutsamste Teil der Messe; dadurch ist eigentlich ausgeschlossen, es außerhalb einer Missa lecta einfach nur im Sprechton vorzutragen. Doch laut Institutio generalis (147) ist es nur «sehr angebracht, daß der Priester die Teile des Eucharistischen Hochgebets singt, die mit Noten versehen sind» – eben nicht das ganze Hochgebet. Als Notlösung böte sich an, daß die Orgel das Sprechen des Priesters begleitet, wie ich es gelegentlich wohltuend erleben konnte. Doch auch das ist von der Institutio generalis (32) verboten.
Die Kirche erkennt den gregorianischen Gesang als der römischen Liturgie zu eigen an, welcher deshalb in den liturgischen Handlungen ... die erste Stelle einnehme (116). Dieser Gesang aber ist an einer wichtigen Stelle durch eine andere sinnlose Reform beschädigt:
Die große Schlußformel der Gebete: «durch unsern Herrn Jesus Christus» ist nach dem Tagesgebet erhalten, ist aber nach Gabengebet und Schlußgebet ersetzt durch das kurze «durch Christus, unsern Herrn». Dabei ist der herrlich markante musikalische Aufstieg vom E in der Ekphonese des Gabengebets «per omnia saecula saeculorum» zum c des «Sursum corda» und in der Präfation nicht mehr vorgesehen (und wegen des unterschiedlichen Textes auch nicht mühelos zu übertragen)15.
Die Konzilskonstitution verlangt weiter, daß auch «andere Arten der sakralen Musik [als der Gregorianische Gesang], besonders aber die Polyphonie, bei der Zelebration der Gottesdienste keineswegs ausgeschlossen werden» (116). Angesichts dessen führen die Anordnung der Institutio generalis, das Hochgebet «schweigend» anzuhören (78), und ihr Verbot, gleichzeitig etwas anderes zu singen (32), zu einem Dilemma:
Schon bei der Gregorianik ist es üblich, daß das Sanctus gesungen wird, während der Priester leise mit dem Hochgebet beginnt. Dieser Brauch, der durch die gesamtkirchliche Überlieferung legitimiert ist – ähnlich halten es auch der byzantinische Ritus und andere Riten des Ostens –, wäre nunmehr untersagt. Das macht es fast unmöglich, mehrstimmige Vertonungen des Sanctus in die Messe einzubeziehen, denn die Länge dieser Stücke zwingt den Priester, lange untätig am Altar zu stehen. Das beeinträchtigt die wirkliche Teilnahme der Gemeinde: sein Stehen, den Blick wartend auf die noch nicht konsekrierten Gaben gerichtet, wirkt sinnlos. So erscheint der Chorgesang als Einlage, nicht mehr als Teil der Liturgie. Infolgedessen erlebt man oft, daß das Volk zu Beginn des Sanctus sich schlicht setzt.
In seinen «Témoignages et souvenirs»16 wandte sich Bernard Botte, einer der Vorkämpfer der Liturgischen Bewegung, immer wieder gegen jedes «Arbitraire», gegen Beliebigkeit oder Willkür. Doch Beliebigkeit ist der Eindruck, den die Neuordnung der Liturgie erweckte, mit sinnlosen oder unverständlichen Maßnahmen; deren Spektrum reicht von der genannten unterschiedlichen Behandlung der Schlußformeln der verschiedenen Meßgebete bis zur Neuordnung des Kalenders mit seiner verwirrenden Zählung der Sonntage im Jahreskreis17 und der Verschiebung der Heiligenfeste, die vielen, die Namenstag feiern, Unbehagen bereitete. Der Termin der Quatember wurden der freien Verfügung der Bischofskonferenzen überantwortet, sie dürfen auch auf einen Wochentag konzentriert werden; in Deutschland ist das eben nicht der Quatembersamstag, der dem Weihesakrament, das an ihm gespendet werden sollte, einen eindrücklichen Rahmen gab, sondern der liturgisch unauffällige Freitag. Die Folge: aus dem allgemeinen Bewußtsein schwanden die Quatember ebenso wie die Eucharistische Nüchternheit und das „Freitagsopfer“, das an die Stelle der in allen Kirchen gebräuchlichen Fleischabstinenz am Freitag treten sollte.
Dieser Eindruck der Beliebigkeit war es, der dazu führte, daß «das neue Missale vielerorts ... als eine Ermächtigung oder gar als Verpflichtung zur „Kreativität“ aufgefaßt wurde, die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte», wie Papst Benedikt offiziell erklärte18.
Solche «eigenmächtigen Entstellungen der Liturgie» seien am Beispiel der Kommunion dargestellt.

Exkurs: Die Kommunion

Zur Beschädigung des Kommunionempfangs hat der Novus Ordo nur noch in einem beigetragen: aus der Lesung des Abendmahlsberichts am Gründonnerstag und (hier nur noch im Lesejahr C) an Fronleichnam aus dem I. Korintherbrief wurde die Warnung vor unwürdigem Empfang, die Mahnung, sich selbst zu prüfen (11, 27-29), gestrichen. Das ist sinnwidrig: gerade diese Warnung ist es, worauf Paulus mit dem Bericht an dieser Stelle hinzielt.
Die Handkommunion, an der Traditionalisten besonders Anstoß nehmen, wurde nicht durch den Novus Ordo eingeführt, sondern kurz zuvor, äußerlich wieder eher beiläufig, durch eine Instruktion, „Memoriale Domini“. Das neue Missale nimmt den neuen Ritus nur auf, «wo dies erlaubt ist» (Inst. gen. 161).
Die Handkommunion an sich kann hier nicht das Thema sein; hier geht es um deren Praxis.
Vorzuwerfen ist dem Novus Ordo, daß er keinerlei Ermahnung an die Kommunikanten enthält, darauf zu achten, was Cyrill von Jerusalem bei der Unterweisung für die Kommunion ein großes Anliegen ist19: peinlichst darauf zu achten, daß nichts verloren gehe – die Gefahr, daß unbemerkt etwas an der Hand haften bleibt, wird von Laien wenig gesehen. Doch zum Schutz davor, daß etwas herabfalle, ist die Kommunionpatene vorgeschrieben (Red. Sacr. cap. IV, 2. [93.]; Inst. gen. 118; 287) – gesehen habe ich sie bisher nur im außerordentlichen Usus.
Die eigentliche Form der Handkommunion ist bei Cyrill beschrieben, bei konzelebrierenden Priestern des byzantinischen Ritus noch heute zu sehen: man empfängt die Hostie in der rechten Hand und beugt sich etwas nieder, um sie aus ihr aufzunehmen. Dagegen ist es ausdrücklich verboten, die Hostie selbst zu nehmen – «per semetipsos accipere» (160); demzufolge darf, so Redemptionis Sacramentum (cap. IV, 2. [104.]) bei Kommunion unter beiderlei Gestalten niemand selber die Hostie in den Kelch tauchen. Die heute weitverbreitete Sitte, die Hostie sich mit der rechten Hand selber zu nehmen, nachdem man sie in der linken empfangen hat, ist also untersagt.
Ebenso untersagt ist, die Kommunion von «außerordentlichen Kommunionhelfern» (Akolythen oder Laien) spenden zu lassen, wenn die Austeilung durch Priester oder Diakon möglich ist; dabei ist «eine kurze Verlängerung» der für die Austeilung benötigte Zeit «ein völlig unzureichender Grund» für den Einsatz außerordentlicher Kommunionhelfer (Red. Sacr. cap. IV, 2. [88.]; cap. VII, 1. [158.]).
Wird im Stehen kommuniziert, so ist dazu eine «geschuldete Ehrfurchtsbezeugung» «empfohlen», die durch die Bischofskonferenz zu bestimmen ist (Inst. gen. 160). Doch solch formal unbestimmte Empfehlung ist wirkungslos; hierzulande scheint die Bischofskonferenz bei der Bestimmung der Ehrfurchtsbezeugung – anders als bei der Genehmigung des Empfangs im Stehen – untätig geblieben zu sein.
Schon in den frühen achtziger Jahren hörte ich eine junge Frau sagen: «Wenn ich mir vorstellen würde, die Hostie sei wirklich Leib Christi, könnte ich nicht zur Kommunion gehen».
Weiter noch als der Ordo von 1965 entfernt sich der Novus Ordo von den Vorgaben des II. Vaticanum; wohl niemals wurden die Forderungen des Artikels 23 beachtet: «.. gehe bei der Überprüfung der einzelnen Teile der Liturgie eine genaue theologische, historische und pastorale Untersuchung immer voran. ... Neuerungen schließlich dürfen nicht geschehen, wenn nicht ein wahrer und sicherer Nutzen für die Kirche das fordert ...». Ein markantes Beispiel dafür ist die Weise, in der das Schuldbekenntnis gekürzt wurde20.
Papst Paul VI. selber legte im Herbst 1972 bei einer Audienz «den vorbereiteten Text beiseite, erinnerte – gegen seine Gewohnheit in freier Rede – mit Wehmut an das abgeschaffte Meßformular und pries dessen Schönheit und Tiefsinn – „vor der jüngst erfolgten Reform der Liturgie“»21.
Wer Liturgie im Sinne des II. Vatikanischen Konzils will, kann nicht vom Novus Ordo ausgehen, auch nicht vom Ordo von 1965. Andererseits wäre es widersinnig, den bestehenden Ordines einen neu ausgedachten hinzuzufügen. Die Lösung dieser Schwierigkeiten ist nur möglich im Anschluß an die kirchliche Autorität.

Der Römische Ritus der Zukunft

Es ist das Apostolische Schreiben «Summorum Pontificum», das zusammen mit zwei Briefen Antwort bietet: Es gibt nicht zwei verschiedene römische Riten, sondern der eine Ritus wird in unterschiedlichen Formen gefeiert. Doch in der Tat ist der Eindruck oft so unterschiedlich, daß diese Formen als zwei verschiedene Riten empfunden werden. Das liegt großenteils an den «kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie», die der Papst im Begleitschreiben monierte; doch sind auch die Besonderheiten des Novus Ordo teilweise derart, daß sie die Einheit des Ritus verdunkeln (so ist etwa der abweichende Festkreis da sehr abträglich).
Darum wollte Papst Benedikt, daß «sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten». Was das heißt, ist aber für beide Formen sehr ungleich: «Das alte Meßbuch kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen.» Ersteres steht außer Frage: selbstverständlich muß es auch in dieser Form möglich sein, etwa das Fest des heiligen Maximilian Kolbe, des heiligen Padre Pio und, zunächst in der Diözese Münster, des seligen Clemens August zu feiern. Auch dagegen, aus älteren Sakramentaren die eine oder andere Präfation neu aufzunehmen, natürlich sofern sie dem Formenkanon der Präfationen dieses Missales entsprechen, spricht wenig.
Natürlich käme eine amorphe Präfation wie die des „Zweiten Hochgebets“ nicht in Betracht: Die feierliche Anrede Gottes in der Eingangsformel ist auf zwei Wörter beschränkt, die Schlußformel «Et ideo» um mehr als die Hälfte gekürzt – so ist von der Ausdruckskraft dieser Texte wenig geblieben22.
«In der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht.» Im Novus Ordo ist also der Kern des Ritus betroffen, eben die Sakralität23; das heißt: hier müssen sich die Grundlagen des Ordo ändern.
Das bestätigt auch Joseph Ratzinger in einem Brief, den er, seinerzeit noch Kardinal, an Heinz-Lothar Barth geschrieben hat und der dann mehrfach veröffentlicht wurde24: «Der Römische Ritus der Zukunft sollte ein einziger Ritus sein, auf Latein oder in der Landessprache gefeiert, aber vollständig in der Tradition des überlieferten Ritus stehend».
Eine völlige Rückkehr zum unveränderten überlieferten Ordo fordern heute auch dessen entschiedene Anhänger kaum; zu viel ist einer großen Zahl von Katholiken an Verständnis für dessen Formensprache verloren gegangen. Das gilt gerade auch für die Sprache selbst: oft wird heute dieser Ordo als «lateinische Messe» bezeichnet. Diese Bezeichnung ist ein Unding, denn nach dem Willen des II. Vaticanum soll ja auch weiterhin die Messe grundsätzlich auf Latein gefeiert werden, was auch der Novus Ordo nicht aufgehoben hat. Aber da im real existierenden Novus Ordo an den meisten Orten das Latein fast völlig verschwunden ist, ist die Bedeutung dieser Sprache als Sakralsprache für sehr viele nicht mehr verständlich; für sie ist Latein nicht mehr die geistliche Muttersprache. Eine sofortige völlige Rückkehr zur lateinischen Liturgiesprache erschiene für sie geistlich nicht fruchtbar.
Aber darüber hinaus gibt es auch die Anordnungen des II. Vaticanum. Nun sind Anordnungen eines Konzils, anders als Lehrentscheidungen, nicht für alle Zeiten verbindlich; wohl kein heutiger Katholik würde die Einschränkungen akzeptieren, die das II. Lateranum den Juden auferlegt wissen wollte. Doch Anordnungen eines Konzils einfach übergehen ist nicht statthaft.
So bleibt die Frage, wie der Römische Ritus der Zukunft über die Sprache der Liturgie hinaus zu gestalten sei, um einerseits den Anliegen des II. Vaticanum gerecht zu werden, andererseits aber die «Tradition des überlieferten Ritus» nicht zu beschädigen – was im übrigen kein Gegensatz ist: gerade in seinem Artikel 23 zeigte ja das Konzil, daß es diese Tradition nicht beschädigt sehen wollte.
«Einen Gottesdienst gestalten» – das hat angesichts jener «kaum erträglichen Entstellungen» einen sehr schlechten Klang bekommen. Andererseits gibt es für eine jede liturgische Feier Elemente, die gestaltet sein oder gestaltet werden müssen. Da ist zunächst die sehr unterschiedliche Gestaltung des Kirchenraums, da sind die Gewänder, die Geräte. Für den einzelnen Gottesdienst ist die Frage: werden Lieder gesungen? und wenn: welche sind das? Was spielt (außerhalb von Advent und Fastenzeit) die Orgel (oder das Ensemble)?
Doch all das berührt die liturgische Ordnung nicht. Es gibt aber manches, was weitergeht. Soll eine Messe feierlicher gestaltet werden, so darf der gregorianische Gesang durch vielstimmige Kompositionen ersetzt werden; andererseits wird auch im überlieferten Ordo der Gesang außerhalb der «Missa cantata» durch gesprochene Texte ersetzt. Daß die Leviten fehlen, daß auf Weihrauch verzichtet wird, erscheint im tridentinischen Ordo missae schon als Normalität. Daß in der gesungenen Messe Stücke des Proprium durch deutsche Lieder ersetzt werden, ist zwar nicht korrekt, war aber wohl schon seit dem XVIII. Jahrhundert in Deutschland verbreitet und kommt auch heute im außerordentlichen Ordo vor.
Das setzt das Maß, welche Gestaltungsmöglichkeiten offenstehen, um die Anliegen des II. Vaticanum zu verwirklichen.
Zu beachten ist dabei: Die den außerordentlichen Ordo beibehalten haben, haben dadurch eine Sakralität und eine wirkliche Beteiligung des Volkes lebendig erhalten, die anderswo sehr gelitten hat. Zugleich hatten sie Bedrängungen zu durchstehen, als sei ihr Ordo, der ja nie abgeschafft war (Summ. Pont. art. 1), verboten. Eine Lehre aus diesen Erfahrungen ist, daß es ihnen möglich sein muß, diesen Ordo ohne Einbußen weiterzuführen.
In seinem Brief hat der damalige Kardinal Ratzinger selber einige Antworten gegeben: der Ritus «könnte einige neue Elemente aufnehmen, die sich bewährt haben», außer der Möglichkeit der Landessprache, neuer Feste und einiger neuer Präfationen «eine erweiterte Leseordnung – mehr Auswahl als früher, aber nicht zu viel –, eine „Oratio fidelium“, d.h. eine festgelegte Fürbitt-Litanei nach dem Oremus vor der Opferung, wo sie früher ihren Platz hatte.»
«Die sich bewährt haben» – das Problem liegt darin, daß vieles begonnen wurde, was eigentlich sinnvoll ist, was aber ganz unangemessen verwirklicht wurde.
Die Volkssprache: das Maß muß gewahrt bleiben, das das II. Vaticanum gesetzt hat: die lateinische Sprache muß als eigentliche Sprache der Liturgie sichtbar bleiben (Sacr. conc. 36), es ist dafür zu sorgen, daß «die Christgläubigen auch in lateinischer Sprache die Teile des Ordinarium Missae, die ihnen zukommen, gemeinsam sprechen oder singen können» (54). Und eine annehmbare Übersetzung muß hergestellt werden25.
Die Leseordnung: Lesungen aus dem Alten Testament wieder einzuführen war sinnvoll – auf die Prophetentexte zu verzichten wäre schade; zu wünschen sind sie an Sonntagen, an Heiligenfesten, die keine Vigil haben, an der Vigil der Apostelfeste, deren Lesung aus dem Neuen Testament stammt, und für die wichtigeren Votivmessen. Auch ihre Stelle vor dem Graduale, so daß die Epistel hinter das Graduale gestellt wird, ist historisch richtig, so wie die erhaltenen Bruchstücke aus dem Umkreis des Römischen Ritus zeigen. Allerdings: wieder einzuführen – aus alter Zeit ist viel zu wenig erhalten, um die Perikopen aus der Überlieferung wiederherzustellen; hier müßte doch neu geordnet werden. Die Perikopen des Novus Ordo können dabei keine Hilfe sein: einerseits folgen sie ihrem besonderen Kalender mit der verwirrenden Jahreskreiszählung, andererseits ist die Perikopierung oft abwegig. Zum Beispiel: Am 2. Sonntag im Jahreskreis wird im Lesejahr B die Geschichte von Samuel und Eli (I. Sam. 3, 3b-10. 19) gelesen. Samuel sagt hiernach: «Rede, Herr, Dein Diener hört» – aber der Herr antwortet nicht mehr, die Perikope springt statt dessen zu einem weiter entfernten Vers. Doch die neutestamentlichen Lesungen sind so voll von Zitaten aus dem Alten Testament und Anspielungen darauf, daß die angemessene Perikope sich sehr oft von selbst ergibt.
Ein „Allgemeines Gebet“ oder „Gebet der Gläubigen“ ist schon von der Konzilskonstitution (53) gefordert. Der damalige Kardinal Ratzinger hatte Recht, dafür «eine festgelegte Fürbitt-Litanei» zu fordern – es gibt in der Institutio generalis zwar ein sinnvolles Schema (70), doch ist das zu unverbindlich, als das es allgemein beachtet würde. Nur allzu oft werden heute Fürbitten vorgetragen, die nicht durch wirkliche Anliegen der Gemeinde begründet sind, sondern rein literarisch durch den Inhalt von Lesungen oder Predigt. Im byzantinischen Ritus dagegen weiß man durchaus in den festen Text der Litanei Gebet auch namentlich für einzelne Kranke einzufügen. Nötig ist zudem, den Ritus genauer festzulegen: es ist heute nicht selten, daß der, der die Fürbitten vorträgt, in deren Formulierung den Herrn anredet, aber das Volk anblickt.
Ein Friedensgruß der Laien kann Teil der Liturgie sein, wie das Beispiel orientalischer Kirchen zeigt, aber deren Beispiel und der Ordnung der überlieferten Römischen Liturgie gemäß vom Altar beginnend: der Priester küßt den Altar, dann wird der Frieden weitergegeben: vom Priester an den Diakon oder an Laien-Ministranten, von Ministranten ans Volk (dem syro-antiochenischen Ritus zufolge treten ein Mädchen und ein Junge vor, um von den Ministranten den Frieden zu empfangen), auch im Volk wird er weitergegeben, nicht rundherum gegeben. Und natürlich ist darauf zu achten, daß «familiäre und profane Gesten des Grußes» vermieden werden.
Die Abendmesse an Sonntagen wurde 1953 ermöglicht, die Vorabendmesse versuchsweise 1965, allgemein 1967. Doch für die etwas jüngere Einrichtung spricht einige Tradition: in der Apostelgeschichte (20, 7) ist anscheinend eine Vorabendmesse beschrieben; und die Quatembersamstagsmessen (vor «Dominica vacat») waren Vorabendmessen. Auch ist eine angemessene Eucharistische Nüchternheit leichter am Samstag einzuhalten als am Sonntag, an dem ja nicht gefastet werden darf. Welche Zeit aber kommt einer Vorabendmesse zu? Die Messe der Osternacht, die dann als Karsamstagsmesse erschien, durfte im Mittelalter erst beginnen, wenn der erste Stern erschienen war, also mit dem Ende der bürgerlichen Dämmerung. In Deutschland aber gibt es Vorabendmessen um 17 Uhr, das ist in Westdeutschland im Hochsommer weit mehr als vier Stunden vor Sonnenuntergang.
Darüber hinaus sind für besondere Situationen und Bedürfnisse einige weitere Zugeständnisse denkbar:
Nach dem oben dargestellten Maß kann es als annehmbare Variation im Ordo missae gelten, wenn einzelne normalerweise leise gesprochene Teile der Messe laut gesprochen werden. Daß das Hochgebet zum größten Teil leise gesprochen wird, ist sinnvoll, ist auch in den orthodoxen und orientalischen Kirchen gebräuchlich. Doch gehört das nicht zum Wesen des Kanons. Wenn also in der Meßordnung von 1965 die Schlußdoxologie laut gesprochen werden soll, so kann das als besondere Möglichkeit bestehen, ebenso wenn der Embolismus auch außerhalb des Karfreitags laut gesprochen wird.
Daß das Volk das Pater noster spricht, widerspricht dem, was in der lateinischen Kirche seit ältester Zeit überliefert ist. Wer genauer hinhört, bemerkt auch, daß die Melodie darauf angelegt ist, daß das Volk erst mit der letzten Bitte einsetzt: das «Et ne nos» ist dem Ton nach als Akklamation zu erkennen, das «sed libera» als Antwort des Volks. Die Meßordnung von 1965 erlaubt, das Pater noster vom Volk sprechen zu lassen – es erlaubt es, ordnet es nicht an. Für die gesungene Messe sicher nicht empfehlenswert; doch in der gesprochenen Messe ist es keine einschneidendere Veränderung als der Verzicht auf den liturgischen Gesang selbst.
Ein künftiger Ordo missae muß natürlich, der Forderung der Konzilskonstitution entsprechend, all die Riten anführen, die im Rahmen der Liturgischen Bewegung das Volk vom Altardienst sinnvoll übernommen hat: die Körperhaltung über das hinaus, was sich in der heutigen Institutio generalis findet, dann all die Gesten der Gläubigen – Kreuzzeichen, Klopfen an die Brust –, die großenteils aber im Ordo von 1965 gestrichen worden waren, zudem die Riten, die das Volk selber entwickelt hatte, etwa die Haltung der Hände beim Empfang der Kommunion und danach. Das alles aber natürlich ohne die Drohungen mit Sünde, die in älterer Zeit etwa die Forderung nach Eucharistischer Nüchternheit belastet haben und dann zu einer Kasuistik führten, die vom Sinn dieser Dinge eher wegführte.
Zwei Ordines desselben Römischen Ritus, von denen der eine, dessen Anhänger sich gerne auf das II. Vaticanum berufen, sich weit von den Forderungen dieses Konzils entfernt hat, deren Anhänger sich oft wenig freundlich gegenüberstehen. Aus dieser Lage gibt es nur den Ausweg, den Papst Benedikt gewiesen hat.

1 Den «tridentinischen» Ritus sowie vier Ordensriten (der Kartäuser, der Prämonstratenser, der Karmeliter, der Dominikaner) und zwei örtliche Riten (von Lyon und von Braga).
2 Die Texte sind hier in möglichst wortgetreuer eigener Übersetzung zitiert.
3 Ansprache von Kardinal Ratzinger, 24. Oktober 1998
4 Emil Joseph Lengeling: Kritische Bilanz. Liturgische Bildung des Klerus und der Laien. Regensburg 1976, S. 18
5 Tradition und Fortschritt in der Liturgie. L.J. 25 (1975), S. 218
6 Kritische Bilanz ibid.
7 Von Abbé S. Dufour gibt es eine undifferenziert kritische, zugleich aber sehr détaillierte Untersuchung: Quelques notes sur le rite de 1965 ou «La premiere etape de la reforme liturgique».
salve-regina.com/salve/Le_rite_de_1965_(étude_critique), auf Deutsch: Notizen zum Ritus von 1965, der ersten Etappe der Liturgiereform. UVK 36/3 (2006), S. 142-160
8 Missarum Sollemnia II. Wien 1962, S. 112, 113 Anm. 6
9 Die Institutio Generalis ist hier zitiert nach der Ausgabe von 2002, zumeist nach der offiziellen deutschen Übersetzung
10Siehe auch: W.H.W: Die neuere Geschichte der «actuosa participatio». E&E 17 (2012), S.39-42
Die zitierten E&Ewald-Texte sind zu finden unter www.occidens.de/textus.htm#imprimenda
11Siehe auch: W.H.W: Die Rolle des Priesters im Zeugnis der Liturgie. E&E 1 (1996), S.19
12Siehe auch: W.H.W: Anthropologische Grundlagen der Liturgie. – II. Praktischer Teil –. E&E 9 (2004), S.63
13Siehe auch: W.H.W: Jüdisches Erbe im christlichen Gottesdienst und islamischer Widerhall. E&E 4 (1999), S.5, und: W.H.W: Der Triumphzug der Dummheit: II. Das Wunder der Kommission. E&E 17 (2012), S.34
14Venerabilis Joannis de Ellenbogen abbatis Waldsassensis Ordinis Cisterciensis de Vita venerabilium Monachorum Monasterii sui Liber. In Bernardi Pezii ... Bibliotheca ascetica antiquo-nova, tomus VIII. Ratisbonae 1725, p. 465 sqq.
15Siehe auch: W.H.W: Anthropologische Grundlagen der Liturgie. – III. Exemplarischer Teil A –. E&E 10 (2005), S.8
16 Le mouvement liturgique. Paris 1973
17 Die Reihe der Sonntage im Jahreskreis beginnt mit dem Sonntag nach Epiphanie, an dem auch das Fest der Taufe des Herrn begangen wird. Es wird von da weitergezählt bis Quinquagesima (einschließlich). Der erste Sonntag nach dem 18. Juni ist der 12. Sonntag im Jahreskreis; von ihm aus werden die übrigen Sonntage im Jahreskreis weitergezählt bis zum letzten Sonntag nach Pfingsten (ausschließlich), an dem das Christkönigsfest begangen wird. Die übrigen Sonntage nach Trinitatis werden vom 12. Sonntag im Jahreskreis zurückgezählt; auf diese Weise fallen stets zwei oder drei Sonntage des Jahreskreises aus.
18 Brief des Heiligen Vaters Papst Benedikt XVI. an die Bischöfe anlässlich der Publikation des Apostolischen Schreibens „Motu proprio data“ Summorum Pontificum über die römische Liturgie in ihrer Gestalt vor der 1970 durchgeführten Reform
19 Mystagogische Katechesen, V, 21
20Siehe: W.H.W: Der Triumphzug der Dummheit: II. Das Wunder der Kommission. E&E 17 (2012), S.29 f.
21 Reinhard Raffalt: Wohin steuert der Vatikan? München 1973; 1975, S. 63
22 Beide Formeln entstammen den überlieferten römischen Präfationen, nicht etwa der Traditio apostolica, auf die sich dieses Hochgebet beruft.
23Siehe auch: W.H.W: Heiliger Eros. E&E 1 (1996), S.4
24 Hier zitiert nach „Summorum Pontificum“: www.summorum-pontificum.de/meinung/barth_brief.shtml
25Siehe: W.H.W: Die Übersetzung liturgischer Texte. E&E 12 (2007), S.20-46

Orietur Occidens

E&E 20 S.30-32 2015 
Wilfried Hasselberg-Weyandt

«Kyrie eleïson»

Christus, eins mit dem Vater, steht im Mittelpunkt des christlichen Glaubens. Doch kann es auch eine falsche, das heißt: nicht trinitarisch verankerte Christozentrik geben. Und tatsächlich habe ich den Eindruck, daß eine Sicht Christi, die ihn von der göttlichen Wesenseinheit abtrennt, ohne ihn deshalb sogleich auf einen nur menschlichen Wanderprediger zu reduzieren, sich auch in der Kirche ausgebreitet hat. So ist oft zu erleben, daß er in unseren Gottesdiensten angerufen wird ohne trinitarischen Bezug.
Woher kommt solche Verzerrung?
Vor etwa einem Vierteljahrhundert redete ich mit einem Mann, der unter dem Einfluß der Gedankenwelt der neognostischen Richtung des damals so genannten „New age“ stand (nunmehr heißt es „Esoterik“ – welch ein Ausdruck für Ideen, die ganze Regale in den Buchhandlungen füllen!). Dieser Mann sprach, recht begeistert, von einem „Christusgeist“, den er durchaus im historischen Jesus Christus personifiziert fand. Aber dieser „Christusgeist“ wurde offenkundig fernab von Gott gesehen, hatte also nichts gemein mit dem fleischgewordenen wesensgleichen Wort des Vaters.
«Eine klare Trinitätslehre ist eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis des Sühnetodes Christi» – mit diesem Satz beschließt P. Bürgener sein Heft über die Trinität; das heißt, solche „esoterische“ Umdeutung Christi ist mit christlichem Glauben unvereinbar.
In jenem anderen Werk von J.A. Jungmann wird noch auf eine syrische Quelle hingewiesen, die aber nicht recht eindeutig ist.
Daß das ganze Kyrie an Christus gerichtet sei, ist eine fixe Idee, als deren Protagonist J.A. Jungmann erscheint. Sein Beleg: «In den meisten Fällen aber, insbesondere auch innerhalb der orientalischen Diakonallitanei, wo das Kýrie eléeson ja heimisch ist, zeigt die Fassung einzelner Rufe des Diakons mehr oder weniger deutlich, daß man sich mit dem Kýrie an Christus wenden will» (M.S. I, S. 440). Konkrete Belege: keine, nur eine Anmerkung, in der außer auf ein anderes Werk von J.A. Jungmann auf zwei grundsätzlich andere, lateinische liturgische Texte hingewiesen wird.
Die wirklich ältesten Quellen, die zu finden sind, sind die Diakonallitaneien in den Apostolischen Konstitutionen und bei Johannes Chrysostomos, beide bei Brightman zitiert. In den Konstitutionen – natürlich zu erwarten angesichts der theologischen Tendenz dieser Texte – ist eindeutig der Vater angeredet, in der Litanei für die Katechumenen heißt es unter anderem (S. 4, Z. 10): «Apokalýpse autoîs tò euangélion toû Christoû autoû – Er enthülle ihnen das Evangelium seines Christus.» Bei Johannes Chrysostomos (bei Brightman App. C) heißt es zu Anfang der Litanei für die Katechumenen (S. 471, Z. 7): «Hína ho panteleémon kaì oiktírmon Theòs epakoúse tôn deéseon autôn – Daß der allerbarmende und barmherzige Gott ihre Bitten erhöre» und als Schlußformel nach dem Engel des Friedens, der die Litanei beschließt (Z. 32): «Heautoùs tô zônti Theô kaì tô Christô autoû paráthesthe – Übergebt euch dem lebendigen Gott und seinem Christus» – in dieser Formulierung ist ganz deutlich mit «dem lebendigen Gott» der Vater gemeint; dementsprechend bezeichnet auch «der allerbarmende und barmherzige Gott» den Vater, nicht etwa Christus. Und in der Litanei nach dem Pater noster (S. 475, Z. 6–7): «Hypèr pánton tôn en Christô kekoiménon ... – Für alle in Christus [also nicht: in Dir] Entschlafenen ...».
Die älteste texthaltige Quelle im römischen Westen dürfte die Deprecatio Gelasii sein, die Jungmann sechs Seiten zuvor (I, S. 434) zitiert. Hier ist primär die Dreifaltigkeit angesprochen: das erste Kyrie eleison wird eingeleitet mit: «Patrem ... et Dei Filium ... et Sanctum Dei Spiritum ... invocamus.» Die folgenden Anrufungen sind oft an Christus gerichtet, doch einige meinen den Vater, so die I.10: «.. divinae bonitatis opulentiam deprecamur», noch eindeutiger die VII.: «.. omnipotentis Dei misericordiam obsecramus»; die IV. scheint an den Heiligen Geist gerichtet: «.. largitorem spiritalium munerum obsecramus».
Das «Christe eleïson» ist zum ersten Mal durch Gregor d. Gr. bezeugt, vielleicht von ihm eingeführt, anfangs anscheinend ebenso oft gesprochen wie «Kyrie eleïson». In der Folge kam es zu den wechselnden Rufen: «Kyrie eleïson – Christe eleïson – Kyrie eleïson», im Stundengebet einfach, in der Messe jeder Ruf dreifach, auf die Perichorese gedeutet. In diesem Gebrauch der lateinischen Kirche ist also die alte westliche trinitarische Auffassung des Kyrie bewahrt.
Also: im Osten ist «Kyrie eleïson» an den Vater gerichtet, im Westen an die Dreifaltigkeit oder im Wechsel an deren Personen.
Doch im Novus Ordo missae ist die trinitarische Ausrichtung überdeckt: zunächst wird jeder Ruf nur noch zweimal gesprochen, so daß der Blick auf die Perichorese wegfällt. Sodann bietet die Form C des Bußaktes eine in der Art von Tropen erweiterte Kyrielitanei, in der auch bei den «Kyrie»–Versen eindeutig Christus angeredet wird. In der Folge haben im deutschen Gebrauch weitere tropenartig erweiterte Kyrie–Litaneien, im alten wie neuen GL ausgiebig vorhanden11, die Ausrichtung auf die Dreifaltigkeit weitgehend verdrängt.
Literatur:
F.E. Brightman: Liturgies / Eastern and Western. Vol. I. Eastern Liturgies. Oxford 1896 / 1965
P. Karsten Bürgener: Die Bibel, die Kirche und die heilige Trinität. Bremen o.J. [2015]
Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Wien 1948 / 1962

10 Jene erste, einleitende ist in Jungmanns Numerierung nicht mitgezählt.
11 Altes / neues GL: Nr. 56 / 163.4, 103 / 158, 129 / 159, 175 / -, 485 /164, 495 / 163, 522 / -, 524 / 160. Einmal wurde im alten GL sogar in der deutschen Fassung des untropierten Textes «Kyrie» zu «Christus, Herr» (506/1.).

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