Kalendaria

 • Entwicklung und Vollendung des römischen Kirchenjahrs •

 • Tabellen •

 • Dilemmata und Niedergang des römischen Kirchenjahrs •

E&E 23 S.9-42 2018 
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Dilemmata und Niedergang
des römischen Kirchenjahrs

Im ersten Teil dieser Abhandlung – Entwicklung und Vollendung des römischen Kirchenjahrs1 – haben wir gezeigt, wie das römische Kirchenjahr sich im Mittelalter zu seiner klassischen Gestalt entwickelt hat.
Das christliche Kirchenjahr baut auf auf jüdischer Grundlage, übernimmt von dorther die Woche und Feste und gibt ihnen einen christlichen Sinn. Seine hohen Feste und auch besondere Wochentage spiegeln die christliche Heilsgeschichte wieder. Dazu treten an nächster Stelle Feste bedeutender Märtyrer und weiterer Heiliger.
Im römischen Ritus wurden die höchsten Feste eine Woche lang gefeiert; diese Feier wird nach dem abschließenden letzten Tag Oktav genannt. Hohe Feste waren zudem ausgezeichnet durch Duplex-Ritus: im Stundengebet wurden an ihnen die Antiphonen doppelt gesungen, nicht nur nach den Psalmen, sondern auch vor ihnen.
In den Ostkirchen gibt es längere Fastenzeiten nicht nur vor Ostern und Weihnachten, sondern auch vor weiteren Hochfesten. Diese Fastenzeiten kennt die lateinische Kirche nicht; statt dessen stellt sie den höheren Festen und auch den primären Apostelfesten je einen Fasttag voran, die Vigil.
Zudem pflegte sie das Fasten an den Quatembern, die, liturgisch besonders ausgezeichnet, dem Weihesakrament den feierlichen Rahmen gaben.
Nun bleibt darzustellen, wie es zum Abbau dieser reichen Gestalt kommen konnte.

Die Vermehrung der Feste

Kirchenväter und Kirchenlehrer

Die Verehrung der vier großen lateinischen Kirchenväter ist alt. Offiziell wurde erst 1295 für sie der Titel „Doctores“ von Bonifaz VIII. eingeführt, der ihnen Duplex-Rang verlieh; doch schon bei Durand haben ihre Feste Semiduplex-Rang.
Semiduplex-Rang haben bei Durand sonst außer neutestamentlicher Heiliger nur noch Nikolaus und Martin – und Laurentius hat gar Duplex-Rang – sowie fünf heilige Jungfrauen.
Allerdings: «Die Auswahl dieser vier Heiligen – Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor d.Gr. – beschränkt sich auf die lateinischen Kirchenväter und erscheint etwas willkürlich – warum nicht Leo d.Gr.? Das Entscheidende aber ist nicht die Auswahl, sondern die Vierzahl: sie steht für die Offenbarung Christi, die durch die vier Evangelisten weitergegeben wurde; ihr Weiterleben und ihre Gewährleistung in der Tradition der Kirche wird durch die Vierzahl der Kirchenväter bezeugt.»2
Doch im Fehlen griechischer Kirchenväter kann man eine Verzerrung sehen. So fügte 1568 Pius V. die großen griechischen Kirchenväter hinzu, die in der byzantinischen Kirche besonders verehrt werden: Basilius, Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomus. Doch stellte er – sinnvollerweise – auch bei ihnen die Vierzahl her, indem er – wiederum sinnvollerweise – Athanasius hinzufügte. Bemerkenswert ist, daß er nur für Athanasius den byzantinischen Festtag übernahm.
Anders als der deutsche Sprachgebrauch unterscheidet das offizielle Latein nicht zwischen „Kirchenvätern“ des Altertums und „Kirchenlehrern“, statt dessen kennt es nur „Doctores Ecclesiæ“. So konnte Pius V., ein Dominikaner, ihnen noch im selben Jahr den mittelalterlichen Kirchenlehrer Thomas von Aquin hinzufügen. Nun kann man im heiligen Thomas gleichsam das Siegel der Kirchenväter sehen, der in seinem Werk die ihren zu einem Ganzen zusammenfügte.
Doch auch dabei blieb es nicht. Im Jahre 1586 stellte der Franziskaner Sixtus V. dem Dominikaner Thomas v. Aquin den Franziskaner Bonaventura an die Seite – womit die eigentliche Bedeutung der Kirchenväterfeste endgültig beiseite gelegt war.
Und es ging weiter: im XVIII. Jahrhundert kamen vier (unter ihnen endlich Leo d.Gr.), im XIX. neun, im XX. bis 1960 sieben Kirchenlehrer hinzu; unter ihnen war Ephrem der Syrer, 1920 benannt, der letzte eigentliche Kirchenvater in dieser Folge.
Bemerkenswert, daß unter ihnen keiner der Apostolischen Väter ist, weder Clemens Romanus noch Ignatius noch Polykarp, und ebensowenig einer der Väter der weiteren Märtyrerzeit, nicht Irenäus, nicht Cyprian.

Die Zentralisierung

Im Mittelalter wurden Heilige gefeiert, die entweder heilsgeschichtliche Bedeutung für die ganze Kirche hatten oder aber für den jeweiligen Ort oder die jeweilige Gemeinschaft besonders bedeutend waren. Das heißt, daß etwa bei Benediktinern das Fest des heiligen Benedikt ein Hochfest war, bei den Franziskanern das des heiligen Franziskus. Außerhalb ihrer Orden aber hatten ihre Feste keinen hohen Rang, wenn sie überhaupt erschienen.
Doch 1568 wurde das tridentinische Missale für alle Kirchen des römischen Ritus eingeführt, die nicht seit mindestens 200 Jahren ein eigenes hatten, 1570 ebenso das tridentinische Brevier. Nun gab es einen Festkalender, der für viele Diözesen und Orden in der ganzen westlichen Welt galt. Fortan waren die Feste der heiligen Benedikt, Franziskus und Dominikus Hochfeste für alle Kirchen des tridentinischen Ritus. Das kann man begründet sehen in der Bedeutung, die diese Heiligen für die lateinische Kirche überhaupt hatten; doch gleichberechtigt traten dazu weitere Feste, unter ihnen die Kirchweihfeste der großen römischen Basiliken.
Einige Kirchen des gallikanisch-fränkischen Raums kannten ein Fest der Kathedra Petri am 18. Januar. Dieses wurde nun in den tridentinischen Kalender eingefügt als Fest der römischen Kathedra, während das altrömische Fest der Kathedra Petri am 22. Februar umgedeutet wurde zu dem der antiochenischen Kathedra Petri.
In der folgenden Zeit aber wurden so die Festtage der Gründer einer Vielzahl neuer Orden und Kongregationen zu Hochfesten für alle Kirchen des tridentinischen Ritus, und auch andere Formen des römischen Ritus zogen nach; und ebenso verbreiteten sich die Feste neuer Heiliger nunmehr sogleich über die ganze römische Kirche. Sogar im Ambrosianischen Ritus sind die Feste ferner Ordensgründer – so der heiligen Francisca Romana und des heiligen Franz von Paula – Solemnia (Feste des höchsten Rangs) geworden.

Die Devotionalfeste

Die alte und die mittelalterliche Kirche feierte die Ereignisse der Heilsgeschichte sowie bedeutsame Heilige; sie gedachte ihrer an einem geschichtlich begründeten Tag, «meistens an ihrem Todestag, ..., bei manchen aber am Tag der Translatio, der Überführung ihrer Gebeine oder Reliquien, oder am Tag der Weihe einer Kirche unter ihrem Patrocinium», haben wir zuvor geschrieben3. Eine Besonderheit stellen die Feste der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und Fronleichnam dar: ersteres beschließt gleichsam als Oktavtag die Festwoche von Pfingsten, das die Feier der dritten Person der Dreifaltigkeit einschließt; letzteres ist die freudige Wiederaufnahme des Geschehens des Gründonnerstags an einem Donnerstag außerhalb der Passionstage.
Seit dem XV. Jahrhundert erschien in einzelnen Orden und Orten gelegentlich eine neue Art von Festen, die einem besonderen Aspekt des Herrn oder eines Heiligen, vor allem der heiligen Maria, gewidmet sind4. So feierten schon seit 1413 die deutschen Franziskaner das Fest der sieben Schmerzen Marias (einer volkstümlichen Ausdeutung von Luc. 2, 35), bemerkenswerterweise mitten in der Osterzeit, am Freitag nach dem 3. Sonntag nach Ostern. Seit dem späten XVII. Jahrhundert verbreiteten sich solche Feste über die ganze Kirche.
Das Motiv zu solchen Festen ist die Devotion, die fromme Betrachtung. Nun ist Betrachtung im geistlichen Leben wichtig; allerdings ist subjektive Betrachtung immer der objektiven Wirklichkeit der Heilsgeschichte zugeordnet, der die vornehmsten Feste des Kirchenjahres gewidmet sind.
Die Siegesfeste: Diese Marienfeste sind keine Devotionalfeste, doch bereitete das Fest Mariæ de victoria die Ausbreitung solcher Feste vor. Der Hintergrund ist die Bedrohung des Abendlandes durch die Osmanen. 1354 erreichten sie Europa, eroberten Gallipoli, 1453 eroberten sie Konstantinopel, 1529 belagerten sie zum ersten Mal Wien. Gegen die Verteidiger und gegen die christliche Bevölkerung der eroberten Gebiete gingen sie mit Massenhinrichtungen von Kriegsgefangenen vor und mit der „Knabenlese“. So war es eine wirkliche Befreiung, als am 7. Oktober 1571 mit der Seeschlacht von Lepanto die osmanische Vormacht zur See gebrochen wurde, sie nach der zweiten Belagerung Wiens am 12. September 1683 besiegt und endgültig zurückgeschlagen wurden und mit dem Sieg von Peterwardein am 5. August 1716 endgültig aus Ungarn vertrieben wurden.
So ordnete Pius V. 1571 an, den 7. Oktober als Fest Mariæ de victoria, vom Sieg, zu feiern5. In gewisser Weise könnte man dieses Fest als heilsgeschichtliches Fest ansehen; allerdings hat die alte Kirche nicht daran gedacht, den 28. Oktober, den Tag von Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke, zum Festtag zu erklären.
Seit 1513 wurde in Cuenca ein Fest des Namens Marias gefeiert, am 12. September. An ebendiesem Tag wurde 1683 Wien von der Osmanischen Belagerung befreit; daraufhin ordnete Innozenz XI. diesen Festtag für die ganze Kirche an.
Gregor XIII. hatte 1573 Kirchen mit einem Rosenkranzaltar erlaubt, am 1. Sonntag im Oktober ein Rosenkranzfest zu feiern. Nach dem Sieg von Peterwardein wurde von Clemens XI. dieses Fest auf den Jahrestag des Sieges von Lepanto verlegt und für die ganze Kirche vorgeschrieben, ersetzte somit das Fest de victoria.
Marienfeste der Orden: Bestimmte Orden haben ein eigenes Marienfest. Unter Innozenz XII. wurde das der Merzedarier am 24. September als Fest Mariæ de mercede für die ganze Kirche vorgeschrieben, 1726 unter Benedikt XIII. das der Karmeliten am 16. Juli als Fest Mariæ vom Berg Karmel.
Name Jesu: Nachdem es nun ein Fest des Namens Mariæ gab, ordnete im frühen XVIII. Jahrhundert Innozenz XIII. für die ganze Kirche ein besonderes Fest des Namens Jesu an – dessen eigentliches Fest ja das der Beschneidung und Namensgebung ist, der 1. Januar –; er setzte es am 2. Sonntag nach Epiphanie an. Dieser Termin wurde von Pius X. verschoben auf den Sonntag zwischen Neujahr und Epiphanie oder gegebenenfalls auf den 2. Januar. Solche Verschiebungen häuften sich in der Folge bei solchen Devotionalfesten, deren Termin historisch nicht begründet ist.
Sieben Schmerzen: Ebenfalls Benedikt XIII. setzte 1727 für die ganze Kirche ein Fest der sieben Schmerzen Marias (anknüpfend an Luc. 2, 35) am Freitag nach dem Passionssonntag an – thematisch stimmiger als die Festfeier der deutschen Franziskaner in der Osterzeit.
Ein weiteres Fest der sieben Schmerzen Marias feierten die Serviten seit 1668 am 3. Sonntag im September; dieses Fest ordnete Pius VII. 1814 für die ganze Kirche an.
Schutzfest des heiligen Joseph: Ein Fest patrocinii S. Joseph führte 1847 Pius IX. ein; er legte es auf den 3. Sonntag nach Ostern – an diesem Sonntag war zuvor schon mancherorten das Fest des heiligen Joseph, das ja stets in die Fastenzeit fällt, nachgefeiert worden6.
Heilig Blut: Wo es Reliquien des Heiligen Blutes gab, wurde ihm schon seit dem Mittelalter Feste gewidmet; gefeiert; schließlich führte Pius IX. 1849 nach seiner Rückkehr von seiner Flucht nach Gaëta ein Fest des kostbarsten Blutes ein, legte es auf den 1. Sonntag im Juli.
Herz Jesu: Noch im späten XVII. und im frühen XVIII. Jahrhundert hatten drei Päpste, von Innozenz XII. bis zu Benedikt XIII., den durch Visionen einer Nonne begründeten Wunsch abgewiesen, ein Fest des Herzens Jesu einzuführen. Doch 1765 gestand Clemens XIII. es Kirchen zu, die sich darum bewerben, Pius IX. ordnete es 1856 für die ganze Kirche an.

Das XX. Jahrhundert

Pius X. verlegte einige dieser neuen Feste: Das Fest der Sieben Schmerzen Marias im September legte er auf einen sehr passenden Tag: den 15. September – er ist einerseits der Oktavtag des Festes Mariæ Geburt, andererseits als Tag nach Kreuzerhöhung eine Sýnaxis zu diesem Fest, eine Mitfeier7 Marias, die mit unterm Kreuz stand (Joh. 19, 25-27).
Das Schutzfest des heiligen Joseph legte er auf den Mittwoch nach dem 2. Sonntag nach Ostern; dazu gab er diesem Fest eine Oktav. Das Fest des kostbarsten Blutes legte er auf den 1. Juli.
Dazu kam eine große Zahl von Devotionalfesten, die „pro aliquibus locis“ ins Missale und Breviarium Romanum aufgenommen waren.
Im XX. Jahrhundert kamen Feste hinzu, deren Anliegen nicht minder moralisch erscheint als devotional.
Heilige Familie: Benedikt XV. ordnete 1921 für die ganze Kirche das Fest der Heiligen Familie an; er legte es auf den Sonntag in der Oktav von Epiphanie – ein passender Tag: dieser Sonntag war dem zwölfjährigen Jesus im Tempel (Luc. 2, 42-52) gewidmet; so konnte das Evangelium des Tages beibehalten werden.
Christ König: Pius XI. ordnete 1925 das Fest Christ König an, am letzten Sonntag im Oktober – ein Fest, das in der Zeit der politischen Umbrüche auf den bleibenden König verwies.
Mutterschaft Marias: Ebenfalls unter Pius XI. kam 1932 das Fest der Mutterschaft Marias am 11. Oktober hinzu.
Maria Himmelskönigin: Unter Pius XII. kam 1954 das Fest Maria Himmelskönigin am 31. Mai hinzu.
Joseph der Arbeiter: Und das Schutzfest des heiligen Joseph wurde 1956 ersetzt durch ein neues Fest, das Fest S. Joseph opificis. Dieses Fest wurde auf den 1. Mai gelegt, den „Tag der Arbeit“ der Arbeiterbewegung – offenkundig sollte dieser Tag dadurch geistlichen Gehalt bekommen. Allerdings: der heilige Joseph war kein Arbeiter, sondern ein selbstständiger Handwerksmeister, darum opificis, nicht etwa operarii; so wurde opifex etwas gewunden als «Werkmann» (Laudate 1962), als «Mann der Arbeit» (Schott 1966) übersetzt.

Die Dilemmata

Die Überlastung des Kalenders

Die Vielzahl der neuen Feste nahm immer mehr Tage in Anspruch. Nun mangelt es dem Jahr nicht an Tagen; dennoch kam es bereits zu störenden Überschneidungen.
Die Fastenzeit, von deren Tagen ein jeder seine eigene Messe, seine eigenen Texte hat, ist seit alters von Festen möglichst freigehalten worden. Fiel doch ein hohes Fest in diese Zeit wie etwa Mariæ Verkündigung, so ermöglichte der Brauch früherer Jahrhunderte, in Stiftskirchen und Klöstern täglich zwei Konventmessen zu zelebrieren, das Fest mit der Messe nach der Terz zu feiern, den Fasttag mit der nach der Non zu begehen. Doch die Zweizahl der Konventmessen gehört weitestgehend der Vergangenheit an.
So trat das Fest der Sieben Schmerzen Marias am Freitag nach dem Passionssonntag in Konkurrenz mit einem Tag der Passionszeit, ebenso das 1921 eingeführte Fest des Erzengels Gabriel am 24. März – gleichsam als vorangestellte Sýnaxis des Erzengels zum Fest der Verkündigung ein wohlbegründeter Tag – in Konkurrenz mit einem Tag der Fasten- oder Passionszeit.
Das Schutzfest des heiligen Joseph am 3. Sonntag nach Ostern hatte zur Folge, daß nun an diesem Sonntag der Osterzeit nicht mehr die Auferstehung im Vordergrund stand, sondern eben der heilige Joseph. Insofern war es günstig, daß Pius X. es auf einen Mittwoch verlegte; doch daß das Fest jetzt eine Oktav erhielt, bedeutete, daß nunmehr die Wochentage einer ganzen Woche der Osterzeit von der Feier dieses Festes verdrängt wurden. Das wurde 1956 behoben durch das neue Fest S. Joseph opificis; doch dieses Fest verdrängte das Fest der heiligen Apostel Philippus und Jacobus, das nun auf den 11. Mai verlegt wurde – so wurde zum ersten Mal ein althergebrachtes bedeutendes Fest der Heilsgeschichte, ein Apostelfest, willkürlich auf einen anderen Tag verlegt.
Dem Fest des kostbarsten Blutes am 1. Juli wurde der Oktavtag des heiligen Täufers untergeordnet, der Tag seiner Beschneidung, der das Evangelium eine längere Schilderung widmet (Luc. 1, 59-79) – dieser Festtag wurde fortan nur noch kommemoriert. Das Fest des Namens Jesu verdrängt jeweils den Oktavtag eines der Feste nach Weihnachten oder die Vigil von Epiphanie.
Doch es ging noch um etwas anderes: die Sonntage per annum und die Wochentage haben im Stundengebet eine eigene Bedeutung: einem Brauch zufolge, der in allen Riten der Christenheit zumindest Spuren hinterlassen hat, im römischen aber bis in die sechziger Jahre des XX. Jahrhunderts grundsätzlich in Kraft war und in der Regel des heiligen Benedikt (XVIII / 4) ausdrücklich angeordnet ist, sollen in jeder Woche alle Psalmen gesungen werden. Das ist aber nur in Wochen möglich, in denen keine Feste oder nur Festa simplicia gefeiert werden.
Festa simplicia setzen im tridentinischen Ordo die Festa iij lectionum, von drei Lesungen fort, an denen die Psalmen des Wochentags gebetet werden. Doch diese Feste sind sehr selten geworden. Schon früh wurde im Ordo von Amiens (1291), der sich eng an die stadtrömische Ordnung anlehnt, eine einfache Lösung gefunden: hier ist auch ein höheres Fest, ein Semiduplex-Fest, das des heiligen Georg nämlich, ein Festum iij lectionum. Doch dieses Beispiel blieb ohne Nachfolger.
Außerdem sollte im römischen Ritus in der Mette (monastisch: den Vigilien; römisch: der Matutin) binnen eines Jahres die ganze heilige Schrift gelesen werden. Schon im frühen Mittelalter geschah das nur noch symbolisch, indem von den einzelnen Büchern oder Bücherkomplexen die ersten Kapitel gelesen wurden; die Responsorien der Historien zeigen das. Doch je öfter das Sonntags- oder Werktagsofficium von Festen verdrängt wird – wieder mit Ausnahme von Festen iij lectionum –, desto weniger kann so von der Schrift gelesen werden.

Die Festränge

Das 1570 herausgegebene tridentinische Breviarium Romanum ist der höchste Festrang der der Duplicia; majora und minora werden hier nicht unterschieden. Die neuen Kirchenlehrerfeste sind Duplicia, und etliche neue Duplex-Feste sind hinzugekommen, Feste der Heilsgeschichte sowie einige weitere Heiligenfeste; und alle Oktavtage, zuvor zum größeren Teil nur Semiduplicia, sind nunmehr Duplicia.
Duplex-Feste sind nun alle sekundären Apostelfeste, jetzt auch Petri Kettenfeier und das Fest Johannis an der Lateinischen Pforte, ebenso die Feste des Apostels Barnabas und der Apostola apostolorum Maria Magdalena sowie das Fest der Enthauptung Johannes des Täufers. Sodann sind es das Fest der Erscheinung des Erzengels Michael und die Feste der heiligen Agnes, Katharina und Lucia, Martin und Silvester. All diese Feste hatten seit Durand Semiduplex-Rang außer Silvester; dieser Tag aber war, so wie auch Martin, zuvor schon gebotener Feiertag.
Das dem tridentinischen Breviarium Romanum voraufgehende Breviarium secundum consuetudinem curiæ romanæ stand unter franziskanischem Einfluß, darum erschien das Fest des heiligen Franziskus hier schon im früheren XVI. Jahrhundert als Duplex majus. So war auch im Breviarium Romanum dieses Fest Duplex, ebenso aber waren es nun die Feste anderer Mönche und Ordensmänner, nämlich der heiligen Antonius, Benedikt, Bernhard und Dominikus (aber noch nicht die der heiligen Bruno oder Norbert), die zuvor keinen höheren Festrang hatten. Dazu treten die drei Weihefeste der vier großen Basiliken der Stadt Rom (S. Peter und S. Paul haben denselben Weihetag) und das Fest Leos d.Gr.
Bedeutende Feste, doch Duplicia verdrängen per annum und auch in der Osterzeit den Sonntag; so brachte diese Vielzahl solcher Feste Ungleichgewicht ins Kirchenjahr.
Die folgende Zeit verschärfte dieses Ungleichgewicht: die meisten neuhinzukommenden Feste erhielten Duplex-Rang. Im XIX. Jahrhundert waren so bereits die meisten Feste Duplicia. Dazu zählten etwa zwei Feste des Ordens der Merzedarier, das Fest Mariæ de mercede – Duplex majus – und das des Ordensgründers Petrus Nolascus. Auch der Rang alter Feste wurde angehoben, aber sehr unregelmäßig: das Fest des heiligen Georg – Großmärtyrer wird er in byzantinischen Ritus genannt – ist Semiduplex geblieben, ebenso das der heiligen Kosmas und Damian, die zu den im Kanon der Messe genannten Heiligen zählen; und das Fest des heiligen Märtyrers Chrysogonus, der ebenfalls im Kanon genannt wird, ist von einem neuzeitlichen Heiligen (S. Juan de la Cruz) verdrängt worden, wird nur noch kommemoriert.
Doch nun war eine neue Rangordnung eingeführt worden: nicht nur Duplicia majora und minora wurden wieder unterschieden; zudem waren über den Duplicia majora neue, höhere Festränge eingeführt worden: Duplicia I. und II. Klasse. Ganz grob kann man sagen, die alten Duplicia majora waren zu Duplicia I. Klasse geworden, die Duplicia minora zu II. Duplicia Klasse, die Semiduplicia zu Duplicia majora. Doch gibt es davon etliche Abweichungen; so sind altehrwürdige Duplicia majora wie S. Stephani, S. Johannis Ev. und Maria Lichtmeß nur II. Klasse.
Das hatte aber kaum ungünstige Auswirkungen; und damit nicht etwa ein wirkliches Hochfest von einem neuen Fest verdrängt wird, wurde innerhalb der Duplicia I. Klasse, der Duplicia II. Klasse und der Duplicia majora eine weitere Unterscheidung eingeführt: die zwischen primären und sekundären Festen. Sekundäre Feste sind hier einerseits die sekundären Festen des heiligen Täufers und der Apostel, andererseits die Devotionalfeste. So war gewährleistet, daß nicht etwa das Herz-Jesu-Fest – I. Klasse, sekundär – das des heiligen Johannes des Täufers – I. Klasse, primär – verdrängt.
Andererseits wurden alle Feste, also auch das Hochfest der Verkündigung, nun von jedem Tag der Karwoche verdrängt, während im Ordinarium Innozenz’ III. (f. 27vb) eine Rubrik zeigt, das in dieser Woche vom Montag bis zum Mittwoch noch die Feier eines Festes möglich war.

Das XX. Jahrhundert

Doch seit Papst Pius X. kam es zu weiteren Reformen. Wenn auch die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Festen formell bestehenblieb, so wurde nun eine andere Unterscheidung maßgeblich: Feste des Herrn haben nunmehr Vorrang vor allen Heiligenfeste, Feste Marias vor allen übrigen Heiligenfesten. Somit bekommen nun auch nachrangige Devotionalfeste den Vorrang vor bedeutenden Festen der Heilsgeschichte, so etwa das Herz-Jesu-Fest – Fest des Herrn – vor den Hochfesten des heiligen Johannes des Täufers und der Apostel Peter und Paul.

Die Oktaven

Zu den Oktaven der höchsten Feste, die im Mittelalter zur Norm geworden waren, trat am Beginn der Neuzeit die von Mariæ Heimsuchung – nicht sehr glücklich, denn der Tag dieses Festes, nach dem Tag der Beschneidung des Johannes, ist ja eigentlich nur der des Abschieds Marias. So wurde diese Oktav, in späteren Ausgaben des Breviarium secundum ordinem curiæ romanæ vorhanden, nicht in die tridentinischen Bücher übernommen.
Dann aber gab 1693 Clemens IX. dem Fest der unbefleckten Empfängnis eine Oktav. Nun ist dies ein hohes Fest, doch es liegt im Advent; so überlagert es die Feier dieser geprägten Zeit. Das Fest der Verkündigung dagegen, der Empfängnis des Herrn also, das freilich in der noch stärker geprägten Fastenzeit liegt, wenn es nicht nach dem Weißen Sonntag nachgefeiert wird, hat keine Oktav.
Die Tage infra octavam, innerhalb der Oktav, wurden in älterer Zeit wie Festa viiij lectionum (im monastischen Cursus: xij lectionum) begangen, im tridentinischen Ordo wie Festa semiduplicia, so daß Psalmen und Nachtlesungen der Wochentage verdrängt wurden. Ihnen außer bei den allerhöchsten Festen Simplex-Ritus zu geben hätte die Feier der Oktaven mit der der Wochentage in ausgeglichener Weise verbinden können. Doch die weitere Entwicklung geschah anders.

Das XX. Jahrhundert

Unter Pius X. wurden die Oktaven in ein System von fünf Rängen gebracht; deren untersten stellten die Octavæ simplices dar, von denen nur der Oktavtag selbst begangen wurde. Das waren außer der Oktaven der drei Feste nach dem Weihnachtstag, bei denen die Tage unter der Oktav von vornherein der Weihnachtsoktav und den andere Fest- und Oktavtagen untergeordnet waren, auch die von S. Laurentius und Mariæ Geburt. Andererseits bekamen bei den nun geschaffenen Oktaven II. Klasse, Epiphanie und Fronleichnam (I. Klasse waren die von Ostern und Pfingsten, die seit jeher schon Vorrang vor allen anderen Festen hatten), die Tage unter der Oktav Vorrang auch vor Duplex-Festen II. Klasse – vorher gingen sie nur Simplex-Festen vor.
Des weiteren gab es noch neue Oktaven: die des Schutzfestes des heiligen Joseph, die aber 1956 wieder weggefallen ist, dann 1928 unter Pius XI. die des Herz-Jesu-Festes.

Die gebotenen Feiertage

Bei den gebotenen Feiertagen änderte sich bis ins XIX. Jahrhundert wenig; 1621 kam unter Gregor XV. S. Joseph hinzu8, 1708 unter Clemens XI. Mariæ Empfängnis.

Das XX. Jahrhundert

Schon seit dem späten XVIII. Jahrhundert hatte es Bestrebungen gegeben, die Zahl der gebotenen Feiertage zu verringern; regional waren seitdem solche Verringerungen schon in Kraft getreten9. Doch zum scharfen Einschnitt kam es 1911 unter Pius X. durch das Motu proprio Supremæ disciplinæ10: nunmehr waren außer der Sonntage nur noch acht Feiertage anerkannt: die höchsten Feste, Weihnachten, Epiphanie und Christi Himmelfahrt, sodann Beschneidung des Herrn, S. Peter und Paul, Marias Aufnahme in den Himmel, Allerheiligen und schließlich Mariæ Empfängnis, aber weder Mariæ Verkündigung, die Empfängnis des Herrn also, noch Fronleichnam. Doch mit dem neuen CIC kamen 1918 doch wieder Fronleichnam sowie S. Joseph hinzu, aber weder Mariæ Verkündigung noch S. Johannes der Täufer.

Der Niedergang

I. Akt: Die Reform von 1960

Eine grundlegende Veränderung brachten Erlasse, die in einem Motu proprio Rubricarum instructum vom 25. Juli 1960 kulminierten:
Die überlieferte Einteilung der Feste wurde hinfällig dadurch, daß alle (!) Tage des Jahres nun Duplex-Ritus bekamen. Die Feste I. und II. Klasse blieben bestehen; die anderen Tage des Jahres wurden nun in die III. oder IV. Klasse eingeordnet.
Etliche Feste wurden abgeschafft, unter ihnen sinnvollerweise das zusätzliche Fest der Kathedra Petri am 18. Januar. Ebenso abgeschafft wurden das Fest des Erzengels Michael am 8. Mai und das altüberlieferte Fest Petri Kettenfeier am 1. August. Dies hatte den Vorteil, daß dieser Tag nun für das noch ältere, schon im Altarmenischen Lektionar genannte Fest der makkabäischen Brüder frei wurde, das bisher nur kommemoriert wurde. Doch für dieses Fest blieb es bei einer Kommemoration. Auch das Fest des heiligen Kreuzes am 3. Mai und das des heiligen Johannes am 6. Mai wurden abgeschafft, Feste, die, wenn auch zeitlich ein wenig verschoben und thematisch etwas verändert, auch in Ostkirchen verbreitet sind.
In der Neuzeit war ein leichtes Übermaß an Oktaven entstanden; doch die störendste, die des heiligen Joseph in der Osterzeit, war schon 1956 beseitigt worden. Nun aber wurden alle Oktaven außer derer von Ostern, Pfingsten und Weihnachten abgeschafft. Drei weitere Oktavtage blieben unter anderem Thema bestehen: der Oktavtag von Epiphanie blieb bestehen als Gedächtnis der Taufe des Herrn, der von Mariæ Geburt als Fest der sieben Schmerzen. Der von Mariæ Aufnahme in den Himmel aber wurde, thematisch wenig naheliegend, zum Fest des unbefleckten Herzens Marias. Doch durch den Wegfall der Oktav wurde der Sinn der Wahl dieser Tage verdeckt.
An der Wende des Mittelalters gab es die altehrwürdigen Marienfeste ihrer Geburt und ihrer Aufnahme in den Himmel mit ihren Oktaven, gab es das Fest ihrer Empfängnis, das ihrer Einführung in den Tempel und das ihres Besuchs bei Elisabeth; außerdem waren das Fest der Verkündigung und Lichtmeß, in ihrem Wesen auch Herrenfeste, marianisch ausgerichtet; und zudem hatte Weihnachten eine deutliche marianische Facette. Nun aber hatte sich zwar die Zahl der Marienfeste erheblich erhöht, doch diesen neuen Festen fehlt die Substanz, die heilsgeschichtliche Einordnung; die Tage innerhalb jener beiden Oktaven dagegen, die an dieser Substanz teilhatten, waren weggefallen.
Zum ersten Mal konnte nun auch ein altes, bedeutsames Herrenfest durch ein Devotionalfest verdrängt werden: Wenn das Gedächtnis der Taufe des Herrn auf einen Sonntag fällt, so fiel es nun ersatzlos aus zugunsten des Festes der Heiligen Familie (wenn auch beide jetzt in die II. Klasse erhoben sind).
In den Ostkirchen gibt es nicht nur die große Fastenzeit vor Ostern und die vor Weihnachten, unseren Advent also, sondern noch weitere Fastenzeiten, besonders das Apostelfasten vor Peter und Paul und das Fasten vor Mariæ Aufnahme in den Himmel. Der Westen dagegen hat diese längeren Fastenzeiten nicht. Statt dessen aber wurde im Westen an je einem Tag vor Hochfesten und vor den primären Apostelfesten gefastet, an den Vigiltagen eben. Nun jedoch wurden diese Vigiltage großenteils beseitigt, die von Epiphanie, von Allerheiligen und der primären Apostelfeste außer Peter und Paul (Tage, von denen allerdings kirchenrechtlich bereits seit dem CIC von 1917 nur noch der von Allerheiligen verpflichtender Fasttag war).

II. Akt: Die Neuordnung von 1969

Im Zuge der paulisextanischen Liturgiereform wurden 1969 die Normae universales de anno liturgico et de calendario erlassen, die diese Änderungen weiterführten.

Die Feste

Die Festränge wurden noch einmal neubenannt: die Feste I. Klasse wurden zu Sollemnitates, Hochfesten, die II. Klasse schlicht zu Festen, die III. Klasse zu Gedenktagen, die Gedenktage zu fakultativen Gedenktagen.
Doch viele Feste und Gedenktage sind ganz weggefallen, so etwa das altehrwürdige Fest der makkabäischen Brüder und das der Vierzig Märtyrer, das auch in allen Ostkirchen außer der armenischen gefeiert wird. Viele weitere Feste wurden verschoben, zum Teil aus erkennbaren Gründen, zum Teil auch völlig sinnfrei.
Das Fest des heiligen Apostels Thomas wurde aus dem hohen Advent auf den 3. Juli verlegt, den Festtag dieses Apostels in den syrischen Kirchen und daher auch bei den indischen Thomaschristen, der als Tag seiner Translatio zuvor auch in etlichen westlichen Kirchen begangen wurde. Das Fest des heiligen Thomas von Aquin wurde auf den 28. Januar verlegt, den Tag seiner Translatio, der zuvor schon bei den Dominikanern als sekundäres Fest dieses großen Heiligen gefeiert wurde; so wurde der 7. März wieder frei für das Fest – nunmehr: den Gedenktag – der heiligen Perpetua und Felizitas, im Kanon genannter Märtyrerinnen, denen er von alters her gewidmet war. Die Feste der heiligen Timotheus und Titus wurden zusammengelegt auf den 26. Januar, den Tag des Festes des heiligen Polykarp, dessen Feier nun auf den 23. Februar verlegt wurde, seinen Festtag in den byzantinischen Kirchen. Auf den bisherigen Festtag des heiligen Timotheus, den 24. Januar, wurde das Fest des heiligen Franz von Sales gelegt; dessen bisheriges Fest, der 29. Januar – der Tag seiner Translatio (sein eigentlicher Dies natalis ist der Tag der Unschuldigen Kinder, kann darum nicht gefeiert werden) – bleibt jetzt ohne Fest.
Das Fest der Taufe des Herrn wurde nun auf den Sonntag nach Epiphanie verlegt; deshalb wurde das Fest der Heiligen Familie nochmals verlegt, jetzt auf den Sonntag nach Weihnachten; so kann es nicht mehr das der Taufe des Herrn verdrängen, wohl aber die Feste des heiligen Stephanus, des heiligen Apostels Johannes und der Unschuldigen Kinder. Johannes und Stephanus sind bedeutende Persönlichkeiten der Heilsgeschichte, ihre Festtage sind zumindest im christlichen Osten älter als Weihnachten – nun werden sie einem Devotionalfest nachgeordnet.
Johannes war einer der ersten Jünger des Herrn (Mtth. 4, 21; Mc. 1, 19), der Jünger, den Jesus liebte (Joh. 13, 23 etc.). Zusammen mit Petrus und Jacobus war er Zeuge der Erweckung der Tochter des Jaïrus (Mc. 5, 37; Lc. 8, 51) und der Verklärung (Mtth.17, 1; Mc. 9, 2; Lc. 9, 28). Er lag an Seiner Brust beim Abendmahl (Joh. 13, 23) und war dann mit Petrus und Jacobus bei Ihm in Gethsemani (Mtth. 36, 37; Mc. 14, 33). Ihm vertraute Jesus am Kreuz Seine Mutter an (Joh. 19, 26 f.). Er war als erster der Apostel am leeren Grab, ließ dort Petrus den Vortritt, trat dann selber ein «und sah und glaubte» (Joh. 20, 2-8). Er war eine der «Säulen» der Kirche (Gal. 2, 9), nach Pfingsten häufig Begleiter des Petrus (Act. 3, 1; 8, 14). Er hat das Evangelium verfaßt, dessen Prolog zwei Tage vor seinem Fest als Evangelium des Weihnachtstages gelesen wird (Joh. 1, 1-14)11.
Das Fest der Beschneidung des Herrn wurde umgewidmet zum Hochfest der Gottesmutter. Nun war dieser Tag immer auch ein Fest Marias, aber durch diese Umwidmung wird sein eigentliches Thema verdrängt.
Das Fest der Himmelskönigin ist auf den 22. August verlegt worden, eigentlich den Oktavtag der Aufnahme Marias in den Himmel: ein passenderes Thema für diesen Tag als das des unbefleckten Herzens Marias, das nun ebenfalls einen passenderen Tag gefunden hat, den Tag nach dem Fest des Herzens Jesu.
Auch einige Devotionalfeste sind weggefallen, das Fest des Namens Jesu, das Fest des kostbarsten Blutes, das Fest der sieben Schmerzen Marias in der Passionszeit, das Fest Mariæ de mercede, das Fest der Mutterschaft Marias, dessen Thema dem neuen Hochfest der Gottesmutter zugeordnet worden ist. Andere sind zu fakultativen Gedenktagen geworden, so das Fest des Namens Marias, das Fest Mariæ vom Berg Karmel und auch das Fest des unbefleckten Herzens Marias. Später wurde das Fest des Namens Jesu wieder eingeführt, aber nicht auf den 2. Januar gelegt, an dem es nach dem Tag der Beschneidung, der Namensgebung also, als Sýnaxis Sinn gehabt hätte, sondern auf den 3. Januar.
Kann das Herz-Jesu-Fest – Hochfest, Herrenfest – auch jetzt das Hochfest Johannes des Täufers oder das der Apostel Peter und Paul verdrängen? – das ist in der Tabula dierum liturgicorum secundum ordinem præcedentiæ disposita (3.) nicht geklärt.
In der lateinischen ebenso wie in der armenischen Kirche gab es den Brauch, auf einen festlichen Tag einen Tag des Totengedenkens folgen zu lassen. In der armenischen Kirche ist am Tag nach fünf Hochfesten, deren vier grundsätzlich auf einen Sonntag fallen, ein Totengedenken angesetzt. In der lateinischen war es Brauch, per annum am Tag nach dem Sonntag, am Montag also, die Messe für die Toten zu feiern12. In ebendieser Weise folgt in der lateinischen Kirche auf das Fest Allerheiligen das Totengedenken, Allerseelen; und ebenso folgt bei den Benediktinern auf das Fest Allerheiligen „unseres Ordens“ am 13. November am nächsten Tag Allerseelen „unseres Ordens“.
Im Kalender von 1960 war Allerseelen zum Tag I. Klasse aufgestiegen, aber mit der Anordnung, daß es einem Sonntag weicht. In den Normen von 1969 jedoch ist diese Anordnung gefallen, so daß nun gegen alle Überlieferung das Totengedenken den Sonntag, den Tag der Auferstehung verdrängt, statt sich ihm anzuschließen.
Alle Vigiltage sind nunmehr weggefallen. Ebenso ist die Pfingstoktav weggefallen – neben der Osteroktav die einzige weitere Oktav, in der seit ältester Zeit jeder Tag über die Magnificat- und Benedictus-Antiphonen hinaus eigene Texte hat.

Die Quatember

Die Quatember bereiteten zumindest seit dem VIII. Jahrhundert durch Fasten auf das Sakrament der Weihe vor. Zugleich gaben sie der Spendung dieses Sakraments am Samstag mit der Lesung der fünf Prophetien den besonders festlichen Rahmen.
Nun aber wurde es den einzelnen Bischofskonferenzen anheimgestellt, über diese besonderen Zeiten des Kirchenjahres ziemlich frei zu verfügen (46.); denn die prachtvolle Quatemberliturgie ist abgeschafft, der Zelebrant wird auf die Missæ pro variis necessitatibus verwiesen (47.). In Deutschland zumindest waren die Folgen verheerend: zunächst wurden Quatemberwochen sinnlos verschoben: die des Herbstes auf den Oktober, die des Winters auf die erste Adventwoche. Sodann wurde die dreitägige Feier auf einen Tag konzentriert: auf den Freitag, den Tag, der unter den drei Tagen einstmals die geringste liturgische Auszeichnung genoß – doch das ist letztlich belanglos, da die Quatemberliturgie abgeschafft ist. Dadurch wurde auch das Weihesakrament von den Quatembern getrennt.
In der Folge gerieten diese einst festlich begangenen Fastentage in Vergessenheit.

Das neue System der Sonntage

Bei den Sonntagen trifft die einschneidendste Veränderung die von Septuagesima bis Quinquagesima, Sonntage der Vorbereitung auf die Fastenzeit, die auch im byzantinischen und syro-antiochenischen Kalender ihr Gegenstück haben, Quinquagesima darüber hinaus das seine in allen ostkirchlichen Kalendern hat. Doch diese Sonntage werden jetzt nicht mehr beachtet.
Drei Arten der Zählung der Sonntage nach Pfingsten kannte in alter Zeit der römische Ritus13: durchgezählt bis zum letzten Sonntag vorm Advent für die Messe; nach den Historien gezählt für Stundengebet; in alter Zeit für die Messe noch unterteilt in die Sonntage nach Pfingsten, die nach der Oktav der Apostel (Peter und Paul), die nach St. Laurentii, die nach St. Angeli (Michael) oder nach St. Cypriani.
Nun aber wurde eine völlig neue Zählung eingeführt, die der Sonntage im Jahreskreis.
Diese Zählung, die zunächst völlig undurchschaubar erscheint, folgt doch einem System: Die ersten Sonntage im Jahreskreis entsprechen den Sonntagen nach Epiphanie. Doch es gibt keinen 1. Sonntag im Jahreskreis, weil der 1. Sonntag nach Epiphanie jetzt das Fest der Taufe des Herrn ist. Der Grund dafür, daß der erste Sonntag im Jahreskreis als 2. Sonntag gezählt wird: eigentlich werden nicht die Sonntage gezählt, sondern die Wochen, und mit dem Fest der Taufe des Herrn beginnt die 1. Woche im Jahreskreis. Nach den Sonntagen nach Epiphanie werden die drei Sonntage Septuagesima bis Quinquagesima als Sonntage im Jahreskreis mitgezählt. Dann werden die Sonntage nach Pfingsten zu Sonntagen im Jahreskreis; doch fallen vor Beginn der Zählung der weiteren Sonntage stets zwei Sonntage im Jahreskreis aus, weil nun auch die Pfingstwoche zum Jahreskreis gezählt wird und ebenso natürlich die folgende, deren Sonntag das Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit ist. Zudem fällt, da die Zahl der Wochen im Jahreskreis zwischen 33 und 34 schwankt, im ersteren Fall eine Woche vor Pfingsten aus. Dadurch endet das Kirchenjahr vorm Advent stets mit der 34. Woche; doch es gibt keinen 34. Sonntag im Jahreskreis, weil auf den letzten Sonntag des Kirchenjahres jetzt das Christkönigsfest verlegt wurde.
So ist seit dem späten XX. Jahrhundert vieles, was die klassische Gestalt des römischen Kirchenjahrs prägte, verlorengegangen, die Vigilien, die Oktaven, die Ordnung der Feste – hohe Feste können einem Devotionalfest weichen, können zudem, auch wenn sie nicht verdrängt werden, jedoch auf einen staatlichen Werktag fallen, einfach ohne jedwede öffentliche Feier bleiben –, die Feier der Quatember als festlicher Rahmen des Weihesakraments. Heiligenfeste, die die Kirche des Westens mit der des Ostens verbindet, sind verschwunden. Das Ergebnis:
Die Bedeutung der Heilsgeschichte ist verringert;
und: es wird weniger gefeiert.

Quellen

Rational ou Manuel des divins offices de Guillaume Durand, évêque de Mende au treizième siècle, ou Raisons mystiques et historiques de la Liturgie catholique; traduit pour la première fois, du latin en français Par M. Charles Barthélemy. Paris 1854
https://archive.org/stream/rationaloumanuel05dura# mode/2up
The ordinal of the papal court from Innocent III to Boniface VIII and related documents. Stephan J.P. van Dijk, completed by J.H. Walker, Fribourg 1975
Breviarium secundum consuetudinem romanae Curiae:
Hofbibliothek Aschaffenburg Ms. 15, Bibl. Pietro Corsini (Norditalien, letztes Drittel 14. Jh.)
https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/ausgaben/zweiseitenansicht.html?id=00121973&seite=1&fip=193.174.98.30
Biblioteca Digitale Lombarda (BDL) MA 126
https://www.bdl.servizirl.it/vufind/Record/BDL-OGGETTO-3521
Biblioteca Apostolica Vaticana, DigiVatlib (DVL), Urb.lat.112
https://digi.vatlib.it/view/MSS_Urb.lat.112?ling=it
Breviarium Romanum, Ex decreto Sacrosancti Concilii Tridentini restitutum, Pii V. Pont. Max. jussu editum. Romae MDLXVIII. [Editio Princeps]
Monum. Lit. Conc. Trid., a cura di Manlio Sodi – Achille Maria Triacca. Città del Vaticano 1999
Breviarium Ambrosianum Sancti Caroli cardinalis archiepiscopi jussu ..., Mediolani 1823
Band 1 mit Verweis auf Band 2, 3 und 4
http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ157715508

Litteratur

Ludwig Eisenhofer: Handbuch der katholischen Liturgik. Erster Band: Allgemeine Liturgik. Freiburg i.Br. 1932
Wilhelm Lurz: Ritus und Rubriken der heiligen Messe. Würzburg 1941
Ulrich Nachbaur: Der Vorarlberger Landespatron – Ein Beitrag zur Verehrung des hl. Josef und zu den Landesfeiertagen in Österreich. Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs, 56. Jahrgang (2004), Heft 1/2, Ss. 74-91
http://apps.vorarlberg.at/vorarlberg/pdf/montfort20041-2.pdf

 1 E&E 23 (2018), S.9-42
 2 L.c. S.22
 3 L. c. S. 15
 4 S. Eisenhofer I, 592 ff.; für seit 1920 eingeführte Feste: Lurz 104 ff.
 5 Das Fest des Schutzes Marias in Griechenland an diesem Tag ist erst in der Mitte des XX. Jahrhunderts auf diesen Tag verlegt worden, den griechischen Nationalfeiertag, der mit jener Schlacht nichts zu tun hat; die übrigen Kirchen des byzantinischen Ritus begehen es am 1. Oktober. Es ist kein Devotionalfest, sondern gedenkt der Erscheinung Marias vor dem heiligen Eremiten Andreas.
 6 Nachbaur S. 77
 7 Vgl. l. c. S. 21
 8 Nachbaur S. 75
 9 Nachbaur S. 77
10 Nachbaur S. 83
11 Theorien moderner Theologie, denen zufolge des Apostel Johannes nicht der Evangelist sei, denen die neuere Forschung längst entgegengetreten ist (vgl. Anm. 15), sind natürlich für die Liturgie ohne Bedeutung.
12 So etwa im Ordinarium Innozenz’ III. (f. 3ra)
13 Entwicklung und Vollendung des römischen Kirchenjahrs S. 28 f.
15Hans-Joachim Schultz: Die apostolische Herkunft der Evangelien (Quaestiones disputatae 145). Freiburg/Breisgau 1993. – Karl Jaroš: Das Neue Testament und seine Autoren. Eine Einführung (UTB 3087). Köln 2008

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